
Serie: Gefühlt gestern: Die Pferdemädchen-Phase: Danke für all das unnütze Pferdewissen, liebe Pubertät!
Viele von uns haben vielleicht gerade mal einen Urlaub auf dem Ponyhof verbracht, alles über Pferde wissen wir trotzdem. Theoretisch. Danke, „Wendy“ und „Bibi & Tina“ …
Früher war nicht alles besser. Manche Dinge waren sogar ziemlich schräg. Aber Nostalgie ist eine seltsame Sache: Mit genügend Abstand verursachen einem Phänomene, die man damals bitterernst nahm und anschließend lange völlig egal fand, plötzlich ein wohlig-warmes Gefühl im Bauch, wenn man an sie denkt. Diese Kolumne soll einen liebevollen, aber prüfenden Blick auf die Vergangenheit werfen. Was war so cool, dass man ihm mit Recht nachtrauern darf? Und was ist in den Untiefen der Geschichte eigentlich ganz gut aufgehoben?
Wissen Sie, was ein Pferd von einem Pony unterscheidet? Dass nur Vollblüter und Araber bei Pferderennen antreten? Was ein Aalstrich ist? Dass bei Islandponyspferden und ein paar anderen Pferderassen noch zwei geheime weitere Gangarten freigeschaltet sind? Könnten Sie aus dem Stegreif einen Impulsvortrag für oder gegen Kandarenzäumung halten? Wenn Sie weiblich sind, dann ist die Chance gar nicht mal so gering, dass sie jetzt „Ja“ sagen – und sich dafür ein bisschen schämen.
Denn falls Sie nicht just in diesem Moment in feschen Reitstiefeln knöcheltief im Stroh eines Pferdestalls stehen, dann stammt dieses unerwartete Fachwissen vermutlich aus ein paar intensiven Monaten, vielleicht auch Jahren, Ihrer Pubertät – und ist größtenteils theoretisch. Geht es Ihnen wie mir und vielen anderen Frauen, hatte Ihr Teenie-Ich außer einem Anfänger-Longenkurs oder ein paar Urlauben auf dem Ponyhof den Kontakt zur Welt des Reitsports vor allem über Bücher, Filme und Comics.
Pferdemädchen waren plötzlich überall
Es sollen Doktorarbeiten geschrieben worden sein über die seltsame Faszination von Mädchen für Pferde. Da schaufeln Elfjährige mit leuchtenden Augen in ihrer Freizeit Pferdemist aus Ställen oder kratzen Schmodder aus Hufen. Logisch erklären lässt sich das nur bedingt. Aber auch ich habe meine Pferdemädchen-Phase in den frühen 90ern voll ausgekostet.
Dreimal ließen mich meine Eltern in den Schulferien eine Woche auf Reiterhöfen verbringen, wo ich zwar nicht reiten lernte, aber immerhin, dass es viel Romantik braucht, um trotz Regen, Matsch und nahezu abgefrorener Finger alles unheimlich schön zu finden. Oder dass Trab zu reiten körperliche Schmerzen bedeutet und man innerhalb von einer Woche nicht lernen wird, cool über Hindernisse zu fliegen wie Wendy & Co. Immerhin kam man jedes Mal mit ein paar spannenden, neuen Gruselgeschichten wieder nach Hause (wir alle wissen, warum man während des Schlafens seine Hand nicht aus dem Bett baumeln lassen sollte, oder?).
Wer hat noch alles die „Wendy“ verschlungen?
Darüber hinaus entsprang meine Pferde-Begeisterung vor allem der „Wendy“, der „Conny“, der „Lissy“, oder, als ich etwas älter und versnobbter war, irgendwann der „Paddock“ (kurz nach der „Paddock“ löste dann aber die „Bravo“ auch schon alle diese Hefte ab). Das alles sind Pferdezeitschriften, falls Sie zu den bemerkenswerten Menschen zählen, die diese Lebensphase ausgelassen haben. Dann wissen Sie allerdings auch nicht, dass Wendy und Bianca schon lange vor Bibi und Tina als BFFs über Wiesen galoppiert sind. Oder warum Wendy dem Reitlehrer auf dem Hof ihres Vaters (Nepo-Babys waren offenbar schon in den 90ern ein Thema) einst Zucker in den Tank schüttete und warum manche von uns AUCH HEUTE NOCH NICHT den Umzug von Lindenhof nach Rosenborg verkraftet haben.
Zu den Zeitschriften gesellte sich sehr schnell ein Konvolut weiterer Medien. Pferdekrams, das muss ein fantastischer Markt für Verlage gewesen sein. Kalender, Postkarten, kiloschwere Bildbände mit Pferdefotos … hatte ich alles. Dieses putzige dicke Büchlein mit den verschiedenen Pferderassen – Sie werden vielleicht wissen, welches ich meine – das man abends durchblätterte und dabei sein zukünftiges Erwachsenenleben inmitten einer Herde Dartmoor-Ponys plante. Oder Ardennen-Kaltblüter. Oder Knabstrupper. Die vorsichtigen Einwände der Eltern gegen ein potenzielles eigenes Pferd (sauteuer, logistischer Albtraum und absurder Zeitaufwand) erschienen einem damals seltsam irrelevant. Sagen wir mal so: Heute fühle ich das – und bin gelegentlich froh über meine Pferdelosigkeit.
Pferde-Merch war eine Goldgrube für Verlage
Viele Jugendliche dürften zu Hause auch die gefühlt hundert Bände der „Bille und Zottel“-Buchreihe angehäuft haben (war nie meins), oder Christiane Gohls „Julia“-Bücher (war total meins). Und plötzlich saß man nachmittags vorm Fernseher und hat sich im NDR Springturniere in Nörten-Hardenberg angeguckt. Oder zu „Alles Glück dieser Erde“ (1978) mit Tatum O’Neal geheult. Und ja, „Bibi & Tina“ war zum Einschlafen schon auch okay.
Und dann plötzlich waren Pferde vorbei. Also, natürlich gab es weiterhin Pferde – aber die waren fortan nur noch für diejenigen interessant, die tatsächlich regelmäßig ritten oder gar ein eigenes besaßen. Für normalsterbliche, pubertierende Mädchen waren plötzlich Take That oder Angelo Kelly irgendwie spannender als die Liaison zwischen Markus Beerbaum und Meredith Michaels. Und so trennten sich die Welten, und zurück blieben Tausende Frauen (ja, es waren halt fast immer Frauen), die heute ihren völlig normalen Berufen nachgehen, sich vielleicht um Familien kümmern, völlig unauffällig zwischen all den anderen Menschen ihr Ding machen. Aber fragen Sie sie bloß nicht, was sie von Kandaren halten.
Alle Texte unserer Nostalgie-Reihe finden Sie hier: Gefühlt gestern