Kolumne: Das Gefühl der Woche: Sie lieben es, allein zu Hause zu sein? Das steckt dahinter

  • November 1, 2025

Unsere Autorin wird ganz euphorisch, wenn Mann und Kinder mal ein paar Tage weg sind. Endlich sturmfrei! Das Gefühl zeigt allerdings, wo ein Problem liegt.

Erinnern Sie sich, wie das damals war als Teenager? Die Eltern fahren übers Wochenende weg, mach keinen Quatsch, okay, und wenn was ist, rufst du an bei … Da hören Sie aber schon nicht mehr zu. Denn der Kühlschrank ist voll, die Freunde schon im Anmarsch. Und vor Ihnen entrollen sich verheißungsvoll tausend Möglichkeiten. Freiheit ohne Erziehungsberechtigte. Sturmfrei!

Das Gefühl der Woche: Sturmfrei!

Das Gefühl habe ich gerade wieder, leider ist es selten geworden. Manchmal hält es nur ein paar Stunden, manchmal einen ganzen Tag, aber immer setzt irgendwann die altbekannte Euphorie ein. Ich wandere dann durch die stille Wohnung, Koffer und Taschen sind weg, ich sehe die leeren Kinderbetten, das halb abgeräumte Schuhregal. Der Kühlschrank summt, als wollte er sagen: Ab jetzt nur noch du und ich. Mann und Kinder machen Ferien, samt all meiner Rollen, die mit Erziehungsberechtigung zu tun haben. „Raum und Zeit, alles meins!“, rufe ich dem Kühlschrank zu und schlage ihm grinsend auf die Tür. Sturmfrei! Das Gefühl der Woche.

Nun ist es nicht so, dass ich während der sturmfreien Zeit verrückte Dinge tue, wie Freunde vermuten. Wirklich nicht. Ich arbeite, ich mache Pausen. Ich esse wann und was ich will. Ich mache die Wäsche – nur meine. Ich bringe niemanden irgendwohin oder hole ab – nur mich selbst. Ich lese Zeitungsartikel – zu Ende. Das Verrückte ist, dass ich alle diese Dinge tue, ohne unterbrochen zu werden. Es ist diese Selbstbestimmtheit, die mich vor Freude fast ausflippen lässt, eine Druckbetankung mit Energie und Lebensgeist.

Erstaunlich, dass das offenbar nicht jedem gleich wichtig ist. Die Psychologin Stefanie Stahl sagt: „Eine menschliche Konstante ist die Me-Time nicht, wir haben kein Alleinsein-Bedürfnis in unseren Genen angelegt. Denn eigentlich sind wir Menschen Gruppentiere und in sozialen Verbänden unterwegs.“

Ohne Frau Stahl zu nahe treten zu wollen – so was kann nur jemand sagen, der die Daueransprechbarkeit berufstätiger Mütter nicht selbst erlebt hat. Diese Zerrissenheit zwischen den Ansprüchen der Alpha-Tiere im Job und denen der Alpha-Tierchen zu Hause.

Bei einem Punkt aber trifft Stefanie Stahl ins Schwarze: Wer die Sturmfreiheit so sehr herbeisehnt, hat möglicherweise ein ganz anderes Problem. „Da sind häufig Menschen dabei, die Schwierigkeiten haben, sich in sozialen Situationen gesund abzugrenzen, die also tendenziell überangepasst sind. Sobald jemand anderes im Raum ist, springt bei denen so ein Programm an, und sie glauben, immerzu Erwartungen erfüllen zu müssen. Nur wenn sie wieder allein sind, haben sie das Gefühl: Endlich kann ich wieder nach mir selbst schauen. Dann liegt das eigentliche Problem bei der fehlenden Grenzsetzung.“ Was soll ich sagen?! Erwischt.

Es hilft also nichts: Richtig sturmfrei hat nur, wer Grenzen setzt. Und das beginnt nicht in der Isolation der eigenen vier Wände, sondern im Kopf – indem wir anfangen, Nein zu sagen. Nein, dies ist meine Zeit, mein Raum, meine Konzentration, bitte alle draußen bleiben. Wie man diesen „Nein-Muskel“ trainiert, erklärt die Verhaltenstherapeutin Franca Cerrutti.

Wie auch immer Sie für Sturmfreiheit sorgen, eines ist sicher: Man kann sie nur genießen, wenn sie irgendwann auch wieder endet. Ich habe noch: zweieinhalb herrlich sturmfreie Tage.

Schreiben Sie mir eine E-Mail. Was ist Ihr Gefühl der Woche? Schicken Sie mir auch gerne Ihren Lieblingssticker! Wer mag, samt Fundort. Zum Schluss: Diese Kolumne ist zugleich ein Newsletter, der immer freitags per E-Mail kommt, wenn Sie ihn abonnieren. Das geht hier. 

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