Tödlicher Polizeieinsatz: Warum der Obduktionsbericht aus Oldenburg für Kritik sorgt

Ein 21-Jähriger wird in Oldenburg von einem Polizisten erschossen. Ein Satz im Obduktionsbericht wirft Fragen auf und auch Rassismusvorwürfe werden laut.

Es ist 2.40 Uhr, als am frühen Ostersonntag in einer Fußgängerzone in Oldenburg tödliche Schüsse fallen. Das Opfer: ein 21-jähriger Mann. Laut Polizei wurde ihm zuvor der Zutritt zu einer Disco verwehrt, woraufhin er mit Reizgas um sich gesprüht habe. Mehrere Menschen seien leicht verletzt worden. Als der Mann die Flucht ergriffen habe, seien ihm mehrere Personen zunächst hinterhergelaufen, hätten die Verfolgung jedoch abgebrochen, als er sie mit einem Messer bedroht habe.

Eine alarmierte Polizeistreife habe den 21-Jährigen schließlich stellen wollen. Wieder sei er davongerannt, schreibt die Polizei in einer Pressemitteilung. In einer anderen Straße sei er auf die Besatzung eines weiteren Streifenwagens getroffen. „Dort ging er bedrohlich auf die Polizisten zu und sprühte dabei Reizstoff in ihre Richtung.“ Ein 27-jähriger Beamter habe daraufhin nach seiner Dienstwaffe gegriffen, mehrfach auf den Mann geschossen und ihn lebensgefährlich verletzt. Kurz darauf sei der Angreifer in einem Krankenhaus gestorben.

Polizist vom Dienst suspendiert

Zwei Tage nach dem Tod des Mannes veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Oldenburg das Obduktionsergebnis. „Der 21-Jährige wurde von mindestens drei Schüssen getroffen. Schussverletzungen fanden sich an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf. Ein vierter Schuss soll ihn am Oberschenkel gestreift haben“, heißt es darin. Doch es ist ein Satz, der nun für heftige Kritik an dem Einsatz sorgt: „Laut dem Obduktionsergebnis trafen alle drei Schüsse den Getöteten von hinten.“

Gegen den 27-jährigen Beamten wurde gleich nach der Tat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Totschlags eingeleitet. Dies sei in solchen Fällen üblich, erklärte ein Polizeisprecher. Es gehe darum, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden sei. Für den Einsatz der Schusswaffe im Polizeidienst gibt es klare gesetzliche Vorgaben. Sie darf in einer Notwehr- oder Nothilfesituation genutzt werden.

Die Ermittlungen gegen den Schützen werden aus Neutralitätsgründen von der Polizei in Delmenhorst und der Staatsanwaltschaft Oldenburg geführt. „Wir ermitteln mit Hochdruck“, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage dem stern. Der betroffene Polizist sei inzwischen vom Dienst suspendiert. „So, wie es in solchen Fällen üblich ist.“

Polizeipräsident kündigt lückenlose Aufarbeitung an

Bei dem Opfer handelt es sich um einen 21-jährigen Oldenburger. Wie mehrere Medien berichten, soll ihm der Zutritt zur Disco „Pablo’s“ an der Mottenstraße verwehrt worden sein, weil er eine Jogginghose trug. Laut NDR soll der Getötete aktiver Fußballer und in der Stadt recht bekannt gewesen sein.

Am Tatort in der Oldenburger Innenstadt haben Menschen zahlreiche Blumen und Kerzen aufgestellt. Unter dem Motto „Gerechtigkeit für Lorenz!“ ist für Freitag eine Demonstration geplant. Rund 1.000 Menschen werden am ab 18 Uhr erwartet, wie ein Sprecher der Stadt bestätigte. „Das wird sicherlich größer werden.“ Auch eine Spendenaktion für die Mutter wurde ins Leben gerufen. Bis Mittwochmittag waren schon mehr als 15.700 Euro zusammengekommen.

„Dieser Einsatz und die Tatsache, dass ein junger Mensch ums Leben gekommen ist, machen mich sehr betroffen. Meine Anteilnahme gilt den Angehörigen und Freunden, die um den Verstorbenen trauern“, sagte der Oldenburger Polizeipräsident Andreas Sagehorn nach dem Vorfall. „Viele wünschen sich Antworten auf die noch ungeklärten Fragen. Das ist emotional verständlich, jedoch müssen zunächst – nach den Prinzipien eines funktionierenden Rechtsstaates – die Hintergründe dieses tragischen Ereignisses lückenlos aufgearbeitet werden.“

Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) äußerte sich „betroffen“. „Die Obduktionsergebnisse werfen schwerwiegende Fragen und verheerende Vorwürfe auf, die im Rahmen der weiteren Ermittlungen schonungslos beantwortet und aufgeklärt werden müssen.“ Freunde des Opfers warfen der Polizei im NDR vor, überreagiert zu haben.

Rassismusvorwürfe nach Polizeieinsatz in Oldenburg

Weil es sich bei dem Opfer um einen Schwarzen handelt, werden auch Rassismusvorwürfe laut. „Wir stehen geschlossen gegen Rassismus, der auch bei der Polizei strukturell ist“, heißt es beispielsweise in einem Facebook-Post der Organisation Unitedagainstracism.

Auch die „Taz“ schreibt: „Neben der Trauer und der Erinnerung steht vor allem die Frage, ob die Situation unter anderen Umständen ebenfalls eskaliert wäre. Denn der Erschossene ist schwarz.“

Auf die Frage einer NDR-Reporterin, ob der Beamte vorschnell oder übertrieben oft geschossen habe und es denkbar sei, dass die Hautfarbe eine Rolle gespielt habe, antwortete der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Patrick Seegers: „Grundsätzlich geht es beim polizeilichen Handeln nicht darum, ob jemand Person of Colour ist oder weiß und deutsch.“ Dies sei nicht die Bewertungsgrundlage für polizeiliches Handeln, sondern die konkrete Einsatzsituation. Die Anzahl der abgegebenen Schüsse wolle er nicht bewerten.

„Ich kann aber sagen, dass, wenn Schusswaffengebräuche stattfinden, dass es dann darum geht, das polizeiliche Gegenüber – wenn die Verhältnisse und die Rechtsmäßigkeit vorliegt – entsprechend gestoppt wird.“ Das sei mit einem Einzelschuss nur in den seltensten Fällen möglich.

Die Polizeigewerkschaft bekräftigte nach den tödlichen Schüssen ihre Forderung nach dem Einsatz von Tasern. „Wir als Polizei Niedersachsen plädieren für den Taser, auch im Streifendienst“, so Seegers. „Aktuell gibt es nur die Schusswaffe, und der Schusswaffengebrauch kann tödlich enden.“

Mit der Verwendung eines Tasers wäre der Einsatz nach Ansicht des DPolG-Vorsitzenden womöglich anders ausgegangen. „Der Taser, also eine Elektroschockpistole, kann natürlich auch tödlich wirken und löst nicht jede Situation. Er wäre aber eine Möglichkeit, viele Situationen zumindest ohne schwerste Verletzungen oder einen tödlichen Ausgang zu lösen.“ 

Ein Taser ist ein Gerät, mit dem aus der Distanz Elektroschocks abgegeben werden, die zu schmerzhaften Muskelkontraktionen führen. Dadurch wird ein Mensch in der Regel handlungsunfähig. Die Waffen sind allerdings umstritten, da Taser beim Einsatz gegen Personen mit Herzerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen zu gesundheitlichen Problemen führen können. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist die Verwendung von Tasern in Niedersachsen seit einigen Jahren bislang nur bei Einsätzen des Spezialeinsatzkommandos (SEK) zugelassen.

Quellen: Polizei Delmenhorst, Staatsanwaltschaft Oldenburg, Facebook, Taz, mit Material von dpa

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