Daddy Issues: Warum ich mich jeden Tag als Versager fühle – und trotzdem weitermache

  • April 24, 2025

In „Daddy Issues“ schreibt stern-Kolumnist Sebastian Tigges dieses Mal über den inneren Kritiker, der uns einredet, wir seien nicht gut genug – besonders als Väter.

Selbst nach drei Jahren Therapie und etlichen Stunden tiefgehender, teilweise schmerzhafter Gespräche überrasche ich meinen Therapeuten noch immer. Er zeigt sich beeindruckt davon, wie wenig mein Selbstwert mit dem zusammenpasst, was ich nach außen – seiner Wahrnehmung nach – ausstrahle. In diesen Momenten wirkt er fast ein wenig hilflos. Beinahe möchte ich ihn trösten und sagen, dass er sich an meinem inneren Kritiker die Zähne ausbeißen wird.

Ein Beispiel: Ich erzähle ihm von einem neuen beruflichen Projekt, spannend und finanziell lukrativ. Ohne Punkt und Komma füge ich hinzu, warum es rein gar nichts mit mir zu tun haben kann, dass ausgerechnet mir dieses Projekt angeboten wurde. Dabei belasse ich es nicht – ich mache das Projekt selbst sicherheitshalber auch noch schlecht. Nicht nur, dass es keinesfalls an meinen (nicht vorhandenen) Fähigkeiten liegen kann, dass ich beruflichen Erfolg habe. Nein, der Erfolg ist in Wahrheit auch keiner, schließlich ist mein Beruf gar kein echter Beruf.

Sebastian Tigges ist sein eigener schärfster Kritiker

Ich schaue meinen Therapeuten mit einem milden Blick an, zucke mit den Schultern und lege mein unbeholfenes Lächeln auf. Wie viele Jahre Therapie braucht es wohl, bis ich mich nicht zwanzig bis hundert Mal pro Tag selbst mit heftigster Kritik übergieße, die stärker an mir klebt als frischer Teer?

Mein Therapeut ist ein Kämpfer. Regelmäßig referiert er über die vermeintlichen Errungenschaften meines Lebens. Führt an, dass ihn noch niemand gefragt habe, ob er in diesem und jenem Podcast zu Gast sein wolle, einen Vortrag halten oder für diese und jene Marke werben wolle. Ich antworte ihm, dass ich mich für all diese Dinge schäme. Dass ich mir das nicht erarbeitet habe. Dass ich nur durch Glück und Zufall und vor allem durch andere Menschen diesen beruflichen Weg einschlagen durfte. Dabei setze ich mit einer bekannten Geste Anführungszeichen vor und nach „beruflich“.

Mir ist klar geworden: Es spielt überhaupt keine Rolle, was ich beruflich mache. Es spielt auch keine Rolle, wie engagiert ich als Vater bin, wie viel ich täglich für meine Kinder auf mich nehme, wie viel Elternzeit ich genommen habe oder wie viele Kilometer ich mit meinen Kindern durch Parks laufe. Das alles spielt so lange keine Rolle, wie ich selbst der verlässlichste Mensch bin, der das alles herunterspielt, der mir immer wieder zu verstehen gibt: Das ist nicht genug. Du müsstest noch viel mehr machen, um endlich mal sagen zu können: Das habe ich ganz okay hinbekommen.

Der innere Kritiker als Raubtier

Ich rede mit mir selbst, wie ich keinem wünschen würde, dass so mit ihm gesprochen wird. Seitdem ich in Therapie bin, erkenne ich das immerhin. Ich ertappe mich geradezu dabei, wie ich verbal auf mich selbst einschlage. Pausenlos. Wenn ich Lob erfahre, ist mir das peinlich. Ich lache dann wie ein schüchterner Achtklässler, spiele es herunter und lobe zur Abwehr umgehend mein Gegenüber. Wenn mir jemand sagt, dass er oder sie mich gern hat, denke ich: wieso? Und im nächsten Moment: Nun, ich habe wohl gut geschauspielert, damit jemand denkt, ich wäre liebenswert.

Einer der schönsten, friedlichsten Momente in meinem Leben ist derzeit die Einschlafbegleitung mit meinen Kindern. Nach dem noch aufregenden Teil mit Zähneputzen, Toilette und Anziehen der Schlafanzüge (allesamt bedürfen allabendlich neu entwickelter Überzeugungskunst), wird es schön: gemeinsames Toben, Lieblingslieder hören, vielleicht sogar Tanzen. Und danach zwei Geschichten vorlesen, jedes Kind darf seine eigenen auswählen. An einem – für die Kinder – guten Tag erzähle ich danach sogar noch eine selbst ausgedachte Geschichte. Dann Licht aus, Gutenachtkuss, und alles wird still.

Alles, nur mein innerer Kritiker nicht. Während sogar meine Kinder müde und friedlich werden, dreht er erst richtig auf und referiert verlässlich meine Verfehlungen als Vater vom Tag: hier zu wenig Geduld, dort zu laut geworden, schon wieder nur Nudeln mit Tomatensauce gekocht, zu wenig Konsequenz, zu viel Konsequenz, zu wenig achtsame Präsenz, zu viel nebenbei aufs Telefon geschaut, erneut den Fernseher eingeschaltet, um noch den einen Call zu schaffen. Fazit: versagt. Als Vater eine komplette Null. Womit um alles in der Welt haben meine Kinder so einen schlechten Vater verdient?

Das Geheimnis: Wir alle kämpfen mit denselben Zweifeln

Beim Schreiben dieser Zeilen denke ich: Wen interessiert das? Ich schäme mich durchgehend. Und zeitgleich bin ich mir ziemlich sicher: So wie mir geht es vielen Menschen. Und den allermeisten sieht man es nicht an. So unendlich viele strahlen vor vermeintlichem Selbstbewusstsein, während sie innerlich von ihren Selbstzweifeln verzehrt werden.

Im Januar war ich auf zwei Berlinale-Partys. Diese Veranstaltungen machen mir Angst. Alle anwesenden Menschen scheinen wichtiger als ich. Um beschäftigt zu wirken und meinen Selbstzweifel zu betäuben, hole ich mir erst mal einen Drink. Doch dann habe ich etwas Ungewöhnliches probiert: Ich habe mich anderen Gästen offenbart. Habe ihnen von meinen Gefühlen, meinen Selbstzweifeln erzählt. Und viele, selbst die angesagtesten Filmproduzenten und die erfolgreichsten Schauspielerinnen, kannten diese Gefühle nur zu gut.

Ich bin sicher: Wenn wir alle mehr über unsere inneren Konflikte sprechen würden, würde es uns ein wenig besser gehen. Denn wir teilen sie mit vielen anderen Menschen. Nur wissen wir das oft nicht, weil wir nicht darüber sprechen. Traurige Logik.

+++ Lesen Sie auch +++

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