Mitgliedervotum: Abstimmung der SPD-Basis: Nach dem Ergebnis warten schon neue Konflikte

Stimmt die Parteibasis dem schwarz-roten Koalitionsvertrag zu, stehen der SPD dennoch turbulente Tage bevor. Weitreichende Entscheidungen stehen noch aus. 

Der Moment, in dem die schwarz-rote Koalition steht oder fällt, lässt sich genau datieren: Dienstagabend, 23.59 Uhr. Dann endet das SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Nur die offizielle Zustimmung der Parteibasis fehlt noch. Deren Votum soll am Mittwochvormittag (10.30 Uhr) der breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

Dass die SPD-Mitglieder mehrheitlich gegen Schwarz-Rot stimmen, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Zur kleinsten Großen Koalition, die das Land je gesehen hätte, gibt es praktisch keine politische Alternative. Auch haben die Sozialdemokraten, die bei der Bundestagswahl auf ein historisches Tief von 16,4 Prozent gestürzt sind, trotz mauem Mandat ein achtbares Verhandlungsergebnis mit der Union erzielt. Künftig sollen sie sieben von insgesamt 17 Ministerposten besetzen, darunter einflussreiche Schlüsselressorts.  

Und doch stehen der SPD, insbesondere der Parteiführung, schwierige Tage ins Haus – selbst wenn die Basis das Verhandlungsergebnis billigt: Zentrale Personalien müssen geklärt, die versprochene Neuaufstellung für die Wahl 2029 glaubhaft angestoßen werden, möglichst ohne jemanden zu verprellen. Es wird auch Verlierer geben, das ist eingepreist. Die vier Knackpunkte.

Die SPD-Parteiführung

Eine Personalie illustriert die diffuse Gefühlslage der Genossen gerade besonders, wie auch die helle Aufregung am Montagabend zeigt. Da hat der SPD-Landesverband Baden-Württemberg, dem auch Parteichefin Saskia Esken angehört, seine Kandidaten für die Beisitzer-Posten im Bundesvorstand nominiert. Esken wurde nicht nominiert, anders als noch 2023, das produzierte prompt Schlagzeilen.

Dabei hatte Esken nach stern-Informationen nicht kandidiert; stand nicht auf der Liste und konnte folglich nicht nominiert werden. Um eine potenzielle Schmach zu verhindern? Aus ihrem Umfeld heißt es, Esken wolle zunächst das Ergebnis des Mitgliedervotums abwarten. Die BaWü-Kandidaten mussten jedoch schon am Montag nominiert werden. 

Das alles täuscht nicht darüber hinweg, dass die 2019 von der Basis gewählte Vorsitzende innerparteilich massiv unter Druck steht. Esken kann zwar auch ohne Nominierung durch ihren Landesverband als Parteichefin vom Bundesvorstand nominiert werden oder, theoretisch, auf dem Parteitag Ende Juni spontan antreten. Aber tritt sie denn wieder an? 

Namhafte Sozialdemokraten trommeln dafür, dass Co-Chef Lars Klingbeil an der Doppelspitze bleibt, während Eskens öffentliche Fürsprecher rar gesät sind. Andererseits schütteln immer mehr Genossen den Kopf ob des Umgangs mit Esken und der teils öffentlichen Häme ihr gegenüber. Das könnte Eskens Position im Posten-Poker stärken: Klingbeil und Esken haben als Vorsitzende die Schmach bei der Bundestagswahl mitzuverantworten – doch scheinbar fällt nur einer nach oben, und das recht steil, während die andere um ihre politische Karriere kämpfen muss. 

Wie es weitergeht, nicht zuletzt mit Esken, wird jetzt in der SPD besprochen. Am Montag soll das SPD-Kabinett präsentiert werden. Erwartet werden auch erste Hinweise darauf, wie sich Partei und Fraktion aufstellen. Ob die zunehmend unrühmliche Debatte um die Co-Chefin damit endet oder gerade erst beginnt: Das dürfte auch darauf ankommen, welche Lösung für Esken gefunden wird. 

Das Kabinett 

Friedrich Merz und Markus Söder haben ihre designierten Ministerinnen und Minister für Schwarz-Rot schon gekürt, die SPD will erst am 5. Mai – damit einen Tag vor der geplanten Kanzlerwahl – die Namen präsentieren. Ursprünglich wollten Union und SPD gemeinsam ihre Kabinettsmitglieder am Montag präsentieren, wie SPD-Chef Lars Klingbeil nach stern-Informationen im Parteivorstand gesagt haben soll. Demnach wären CDU/CSU vorgeprescht. 

So oder so: Dass die SPD den 5. Mai anpeilt, erst kurz vor knapp das Personaltableau präsentieren will, verkleinert den (Zeit)Raum für potenziell hitzige Debatten über die SPD-Aufstellung. Das kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die Kabinettsliste für Kontroversen sorgen könnte – und die Parteiführung das auch antizipiert. 

So gibt es beispielsweise zu viele SPD-Männer aus Niedersachsen, die auch in der Regierung etwas werden wollen, für zu wenig Top-Posten. Gleichzeitig hat SPD-Chef Lars Klingbeil einen „Generationenwechsel“ ausgerufen, der sich auch im Kabinett widerspiegeln muss. Und können die Wahlverlierer von gestern auch das Spitzenpersonal von morgen sein? Das verlangt viel Fingerspitzengefühl.  

Hinzu kommt: Schwarz-Rot löst in der SPD vieles aus, nur keine Euphorie. Regierungsmitglieder, die nicht in weiten Teilen der Partei Zuspruch finden, hätten die Erfolgsaussichten für das unbeliebte Bündnis wohl zusätzlich getrübt. Auch vor diesem Hintergrund dürfte sich die SPD-Spitze dafür entschieden haben, ihre Personalfragen erst nach dem Mitgliedervotum öffentlich zu präsentieren – um die Abstimmung nicht indirekt auch zu einem Plazet über das eigene Personal zu machen. 

Der Fraktionsvorsitz 

Neben der Regierungsmannschaft wird die SPD auch klären müssen, wer ihre Bundestagsfraktion anführt. Erwartet wird eine zeitnahe Entscheidung rund um die offizielle Regierungsbildung. Sollte Klingbeil tatsächlich ins Kabinett wechseln, etwa als Finanzminister und Vizekanzler, müsste er den Fraktionsvorsitz abgeben. An wen? 

Es werden derzeit einige Namen für den einflussreichen Posten über die Flure geraunt, für wahrscheinlicher und weniger wahrscheinlich gehandelt. Zum Beispiel Matthias Miersch, der SPD-Generalsekretär, oder Hubertus Heil, bisher Arbeitsminister. Ebenso Dirk Wiese, Sprecher des konservativen Fraktionsflügels, und Bärbel Bas, die bisherige Bundestagspräsidentin. Gleichzeitig sind bei den Genannten auch Kabinettsposten nicht ausgeschlossen. Wieder: alles auch eine Frage des Proporzes.

Passen der Landesverband, passen die Flügelzugehörigkeit – auch im Verhältnis zum SPD-Kabinett? Handelt es sich um ein altes oder neues Gesicht? Genießt der- oder diejenige genug Rückhalt unter den Bundestagsabgeordneten? Viele Fragen, die es zu berücksichtigen gilt – und die Statik von Schwarz-Rot maßgeblich beeinflussen werden. 

Die Fraktionsvorsitzenden einer Regierung organisieren im Bundestag die (Kanzler-)Mehrheiten, sind für Erfolg oder Misserfolg einer Koalition mitverantwortlich. Das verlangt Prokura in den eigenen Reihen, aber auch ein belastbares Verhältnis mit dem – in diesem Fall – Konterpart der Union. Und Jens Spahn, früherer Gesundheitsminister und bisher Fraktionsvize, gilt als gewiefter Verhandler. 

Konsequenzen aus dem Wahlergebnis

Und dann ist der „historisch schlechteste Wert“, wie Generalsekretär Matthias Miersch das Wahlergebnis am Montag demonstrativ nannte, noch nicht aufgearbeitet. Die SPD-Führung weiß um den Spagat, den sie gerade hinlegt: Einerseits wird über Posten und Ämter in einer Regierung diskutiert, obwohl andererseits kein Anlass zur Freude bestehen kann – die SPD wurde krachend abgestraft. Und die Mitglieder erwarten, dass ein Erfolg versprechender Plan für 2029 vorgelegt wird. 

Generalsekretär Miersch sagte am Montag, dass sich eine von der Parteispitze eingesetzte Kommission zur Aufarbeitung nun konstituiert habe. Insbesondere drei Punkte sollen im Fokus ihrer Analyse stehen. Programm, Kommunikation und Organisation der Partei, nicht zuletzt das Personal. Eine erste „Projektskizze“, wie Miersch es nannte, könnte bis zum vorgezogenen Parteitag Ende Juni vorliegen. Die Mitglieder, bei denen reichlich Diskussionsbedarf herrscht, werden sie erwarten. Oder im Zweifel beim Parteitag einfordern. 

Kaum ein Wunder also, dass Miersch in diesen Tagen auch das betont: Das Wahlergebnis dürfe nicht einfach abgeheftet werden. 

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