
Aggressionen und Gewalterfahrungen sind für Politikerinnen und Politiker einer Studie zufolge kein Randphänomen – sondern „weit verbreitet“. Zu diesem Schluss kommt eine durch die Hans-Böckler-Stiftung geförderte Befragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), die am Dienstag vorgestellt wurde. Demnach waren geschätzte 61 Prozent der politisch Engagierten während ihrer politischen Laufbahn bereits mindestens einmal von Aggressionen und Gewalt betroffen, 46 Prozent waren es in den sechs Monaten vor der Befragung.
Die Studie macht Einschränkungen bei der Repräsentativität. So wurden 22.264 Politikerinnen und Politiker zur Befragung eingeladen, nach Datenbereinigung konnten die Antworten von 1479 Teilnehmenden ausgewertet werden. Damit sei die Teilnahmebereitschaft eingeschränkt und es sei von einer Überrepräsentation Betroffener auszugehen. Gleichwohl erlaubten statistische Gewichtungen, einige Verzerrungen der Ergebnisse zu verringern. Die Online-Befragung fand zwischen Mai 2024 und Februar 2025 statt.
Den Ergebnissen zufolge wurden Beleidigung und Diskriminierung am häufigsten genannt (53 Prozent), gefolgt von Verleumdung (35 Prozent) und sozialer Ausgrenzung (29 Prozent). 15 Prozent erlebten in ihrer politischen Laufbahn bereits Sachbeschädigung, 13 Prozent berichteten von Bedrohung, acht Prozent von sexualisierten Aggressionen beziehungsweise Gewalt und sechs Prozent von tätlichen Angriffen.
Zur Betroffenheit der Politikerinnen und Politiker nach Parteien konnte die Studie keine verlässlichen Angaben machen, hier dürften Folgebefragungen mehr Aufschluss geben. Da der Großteil der Befragten auf kommunaler Ebene aktiv ist, ist etwa der gewichtete Anteil Parteiloser mit 31 Prozent ziemlich hoch. Das Bundeskriminalamt hatte kürzlich mitgeteilt, bei den politisch motivierten Straftaten seien Politikerinnen und Politiker oder Einrichtungen der Grünen am häufigsten Ziel von Straftaten, gefolgt von AfD und SPD.
Die Böckler-Studie machte aber Angaben zu den Folgen, die die Betroffenen aus ihren Erfahrungen ziehen. So gaben 70 Prozent an, ihr Engagement insgesamt nicht verändert zu haben – 20 Prozent hingegen schon. Sie reduzierten etwa ihre Äußerungen zu kontroversen Themen, ihre öffentliche Sichtbarkeit oder ihre Wahlkampfaktivitäten. 84 Prozent sprachen mit ihrem privaten Umfeld über das Erlebte, 33 Prozent schwiegen darüber, 13 Prozent zeigten eine Tat an.
„Trotz gewisser methodischer Grenzen: Die Ergebnisse zeigen leider auf jeden Fall, dass Aggressionen und Gewalterfahrungen für politisch Engagierte kein Randphänomen sind, sondern weit verbreitet“, ordnete Christina Schildmann von der Hans-Böckler-Stiftung die Studie ein. Die Angriffe hätten nicht nur Folgen für die Betroffenen, sondern damit wachse auch das „Risiko einer Lähmung demokratischer Institutionen“.
Die Stiftung verwies auch auf einschneidende prominente Fälle wie die Ermordung des Regierungspräsidenten und CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremen. Auch die frühere Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, der ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (beide CDU) und der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatten ihren Rückzug aus der Politik unter anderem mit einem Klima der Aggression begründet.