Film „On Swift Horses“: Daisy Edgar Jones lebt queere Freiheit in den Fünfzigern – die es so nicht gab

  • Mai 29, 2025

Im queeren Drama „On Swift Horses“ setzt eine angepasste Ehefrau für ihr Glück alles aufs Spiel und gewinnt. Das kalifornische Idyll ist aber eine Hollywood-Fantasie. 

Julius liegt auf der Motorhaube eines Autos, die gestählten Bauchmuskeln freigelegt. Muriel raucht aus dem Fenster des Hauses hinaus. Sie wechseln ein paar bedeutungsschwangere Blicke, später auch Worte und Zigaretten. Es könnte der Beginn einer Affäre oder sogar einer Ménage-à-trois sein. Denn Muriel ist mit Lee zusammen, dem Bruder von Julius. Doch der Film „On Swift Horses“ tut uns den Gefallen und wählt einen anderen Weg.

Julius (Jacob Elordi) und Muriel (Daisy Edgar Jones) entfernen sich zunächst voneinander. Lee will sich im San Diego der 1950er Jahre den amerikanischen Traum erfüllen: Er heiratet Muriel, das Paar kauft ein Haus, arbeitet hart. Julius hingegen, zieht in die Welt hinaus, tingelt durch die Kasinos in Las Vegas und schläft mit Männern. Muriel erkennt bald, dass sie das bescheidene Leben mit dem liebevollen Lee nicht erfüllt. Also folgt sie ihrem Freiheitsdrang, steigt in Pferdewetten ein und verliebt sich in Frauen. 

„On Swift Horses“: Kleine Sprünge in die Freiheit

Das Drama „On Swift Horses“ nach dem Roman von Shannon Pufahl erzählt die Emanzipation von gleich zwei queeren Hauptfiguren. Regisseur Daniel Minahan hat Hollywoods Nachwuchsstars der Stunde zusammengetrommelt: Jacob Elordi spielt als einsamer Cowboy Julius erstmal eine verletzliche Rolle. Diego Calvas, bekannt aus den Serien „Narcos“ und „Babylon“, teilt als unzuverlässiger Überlebenskünstler mit Julius das Bett und den Platz am Pokertisch. Als Muriel verkörpert die britische Schauspielerin Daisy Edgar Jones herausragend eine scheinbar angepasste Ehefrau der Fünfzigerjahre, die wächst und sich findet – im Stillen.  

Der Cast von „On Swift Horses“ 2024 in Toronto mit Regisseur Daniel Minahan (links oben)
© Gareth Cattermole

Heimlichkeit ist eines der Leitmotive. Dafür ist mit Produzenten Peter Spears ein Experte mit an Bord. Er hatte schon „Call me by your Name“ mit umgesetzt, eine Geschichte über die heimliche Liebe zwischen zwei jungen Männern in den Achtzigern. Das andere Motiv sind die Pferde, die als Freiheitssymbol ständig durchs Bild galoppieren. Dass Muriel auf Pferde setzt, erfährt ihr Ehemann ebenso wenig, wie von ihren regelmäßigen Telefonaten mit seinem Bruder. Ihren Gewinn versteckt Muriel vor Lee, ihre amourösen Treffen mit der Nachbarin Sandra bleiben ebenfalls ihr Geheimnis.

Bei Daisy Edgar Jones sind stille Wasser tief

Daisy Edgar Jones mit den großen, traurigen Augen verkörpert nun wiederholt eine Frau, die in sich gekehrt und eigensinnig zugleich ist. Oft spielt sie sensible Außenseiterinnen, denen man ihre inneren Kämpfe ansieht und die bereit sind, sich und ihre eigenen Bedürfnisse über die Schmerzensgrenze hinaus zu verleugnen. In „Der Gesang der Flusskrebse“ spielt sie das schweigsame „Marschmädchen“ Kya. Die wird von ihren Eltern verlassen, misstraut Menschen und sehnt sich doch nach ihnen. In „Normal People“ verwechselt sie als fragile Twenty-Something Schmerz mit Liebe und gerät an missbräuchliche Männer. Langsam, aber beständig schaffen es diese Frauen aus der Reserve. Der große Sprung in die Freiheit ist auch für Muriel ein Weg der kleinen Hopser.

Das Schauspiel-Handwerk lernte Jones am National Youth Theatre in London, das auch Daniel Craig besuchte. Erste Auftritte hatte sie in der britischen Dramedy-Serie „Cold Feet“ und der Science-Fiction-Serie „War of the Worlds“. Während der Corona-Pandemie landete die Serie „Normal People“, die auf einem Bestseller von Sally Rooney basiert, einen internationalen Hit. Für die Rolle der einsamen Marianne an der Seite von Paul Mescal wurde Daisy Edgar Jones für einen Golden Globe nominiert. Als sie das Buch von Rooney gelesen hatte, habe sich zu der Darstellung des Innenlebens der Figuren hingezogen gefühlt, sagte sie einmal im Gespräch mit dem New Yorker. „Sie sind beide unglaublich komplex und fehlerhaft.“ Das Interesse für solche Charaktere ist ihr geblieben.

In „On Swift Horses“ nutzt Muriel die Chancen, die sich ihr durch glückliche Fügung ergeben, um sich aus ihrem beengten Leben zu befreien. So setzt sie auf der Rennbahn auf die richtigen Pferde, weil sie zuvor als Kellnerin zufällig Gespräche zwischen Trainer und ehemaligen Jockeys belauscht. Bei den Pferdewetten lernt sie auch eine spätere Geliebte kennen, die aufs gleiche Pferd gewettet hat. Aber wie das so ist mit dem Glück, ist man immer auch eine Haaresbreite davon entfernt, es wieder zu verlieren. Das flüstert ihr dieselbe schöne Unbekannte später in einer geheimen Schwulen- und Lesbenbar ins Ohr. Draußen steht schon die Polizei vor der Tür. 

Queeres Leben in den Fünfzigern war weder frei noch sicher

Bei all den sexuellen Erweckungsszenen – leidenschaftlichem Oralverkehr zwischen Wäscheleinen und ausgelassenen Country-Tanzszenen – vernachlässigt der Film, dass queere Menschen in den USA der Fünfziger weder frei noch sicher waren. Eine von der Norm abweichende Sexualität zuzulassen, war nicht nur ein Selbstfindungstrip, persönliche Freiheit nicht nur eine Aneinanderreihung von Wagnissen und glücklichen Zufällen wie es der Film suggeriert. Bis 1973 galt Homosexualität in den USA als „Geisteskrankheit“ und wurde mit Haft und Geldbußen bestraft. Homosexuelle mussten damit rechnen, öffentlich attackiert zu werden.  

All das scheint Muriel kaum zu bemerken. Als wäre die Welt um sie herum eine andere, feiert sie in Sandras Haus mit deren Freundinnen am helllichten Tag lesbische Feste. Sie übt Schritt für Schritt die leise Rebellion in Richtung Freiheit. Das mag an der Wirklichkeit der Fünfziger vorbei erzählt sein. Aber der Film interessiert sich abgesehen von den Schlaghosen und den Pin-Curl-Frisuren ohnehin kaum für gesellschaftliche Umstände. Anstatt sich an der äußeren Realität abzuarbeiten, schwelgt er lieber in queeren Utopien in der sonnigen kalifornischen Wüste und fokussiert sich auf das komplexe Innenleben der Figuren. Und ist damit bei Daisy Edgar Jones goldrichtig. 

„On Swift Horses“ ist ab dem 29. Mai im Kino zu sehen. 

Quelle: „The New Yorker

  • Ähnliche Beiträge

    • Mai 30, 2025
    Staffel drei von „And Just Like That…“: So kommt Carrie zurück

    „And Just Like That…“ geht weiter. Was können Fans in Staffel drei erwarten und wer ist dabei? Hier gibt es die Antworten.

    • Mai 30, 2025
    Insolventer Modehersteller Gerry Weber schließt alle rund 40 Geschäfte in Deutschland

    Der insolvente ostwestfälische Modehersteller Gerry Weber schließt alle seine gut 40 Geschäfte in Deutschland. Die Rechte an der Marke Gerry Weber würden von der spanischen Victrix-Gruppe übernommen, die einen „Neustart der Damenmodemarke unter Nutzung der eigenen Strukturen“ plane, erklärte das Unternehmen in Halle/Westfalen am Freitag. Demnach werden alle Shops und Outlets in Deutschland sowie die bestehenden Läden in anderen europäischen Ländern in den kommenden Monaten geschlossen.

    Du hast verpasst

    Wetterbilanz: Frühjahr in MV: zwei Grad zu warm und viel zu trocken

    • Mai 30, 2025
    Wetterbilanz: Frühjahr in MV: zwei Grad zu warm und viel zu trocken

    Insolventer Modehersteller Gerry Weber schließt alle rund 40 Geschäfte in Deutschland

    • Mai 30, 2025
    Insolventer Modehersteller Gerry Weber schließt alle rund 40 Geschäfte in Deutschland

    Staffel drei von „And Just Like That…“: So kommt Carrie zurück

    • Mai 30, 2025
    Staffel drei von „And Just Like That…“: So kommt Carrie zurück

    Frühjahrswetter: Frühjahrswetter in Sachsen: viel Sonne und Frost-Rekord

    • Mai 30, 2025
    Frühjahrswetter: Frühjahrswetter in Sachsen: viel Sonne und Frost-Rekord

    Protestaktionen: Klimagruppe: „Parlament der Menschen“ und Protestwoche

    • Mai 30, 2025
    Protestaktionen: Klimagruppe: „Parlament der Menschen“ und Protestwoche

    Stürme in den USA: Häftlinge retten Frau und ihre drei Kinder nach Tornado

    • Mai 30, 2025
    Stürme in den USA: Häftlinge retten Frau und ihre drei Kinder nach Tornado