
Der krisengeplagte Flugzeugbauer Boeing ist durch den Absturz in Indien erneut in den Schlagzeilen. Die Aktie stürzte ab. Ein Experte glaubt trotzdem an das Comeback.
Nach dem Flugzeugabsturz einer Air-India-Maschine in Indien mit mindestens 241 Todesopfern läuft die Suche nach der Ursache. Die Boeing 787-8 war am Donnerstag kurz nach dem Start in ein Wohngebiet nahe dem Flughafen von Ahmedabad gestürzt. Laut Air India überlebte nur eine Person an Bord. Auch am Boden starben zahlreiche Menschen durch den Aufprall.
Ebenfalls ungeklärt ist, warum Flug AI171 abstürzte. Rettungsteams suchen nach Wrackteilen, die Hinweise liefern könnten. Berichten zufolge soll ein „Mayday“-Notruf aus dem Cockpit gesendet worden sein, dies ist jedoch nicht bestätigt. Gewissheit liefern dürfte erst die mögliche Bergung der Flugschreiber, auch Blackbox genannt. Sie zeichnen Flugdaten und Cockpitgespräche auf und können so helfen, die Ursache des Absturzes zu klären. Einer von beiden soll inzwischen geborgen worden sein. Boeing kündigte Unterstützung bei der Aufklärung an.
Welche Folgen hat das Unglück für Boeing?
Eine Frage bleibt auch, welche Folgen das Unglück für den krisengeplagten Flugzeughersteller aus den USA hat. Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt glaubt zunächst nicht an wirtschaftliche Konsequenzen. „Nach allem, was man im Augenblick sehen kann, handelt es sich um einen normalen Unfall“, sagte er zu Capital.
Ein solcher sei zwar tragisch, aber im hochkomplexen Luftfahrtbetrieb nicht völlig auszuschließen. „Solange sich nicht herausstellt, dass ein gravierender technischer Konstruktionsfehler seitens Boeing vorliegt, wird das Unglück keine direkten Auswirkungen auf den Konzern haben“, so Großbongardt. Laufende oder geplante Aufträge würden jetzt also nicht einfach gestoppt oder verschoben.
Boeing-Aktie sackt ab
Nach dem Absturz des Flugzeugs hatten die Boeing-Aktien allerdings zeitweise um knapp acht Prozent nachgegeben. Mittlerweile hat sich der Kurs wieder leicht erholt. Konzernchef Robert Ortberg sagte derweil seine Teilnahme an der Paris Air Show ab, die am Montag in Frankreich beginnt. Auf der wichtigen Luftfahrtmesse werden neue Flugzeuge, Technologien und Innovationen der Branche vorgestellt. Auch Boeing und der Konzern Airbus sind auf der Leistungsschau vertreten.
Im Wettbewerb mit dem europäischen Rivalen Airbus hatte Boeing in den vergangenen Jahren stark an Boden eingebüßt. Nach wiederholten Pannen mit der Modellreihe 737 Max geriet Boeing zunehmend unter Druck. Weltweit hatten Maschinen dieses Typs zwischenzeitlich ein Startverbot, nachdem zwei schwere Unfälle hunderte Menschenleben forderten. Das Vertrauen von Fluggesellschaften und Passagieren litt stark. Der Konzern schreibt seit Jahren hohe Verluste.
Ungeachtet des jüngsten Unglücks in Indien glaubt Luftfahrt-Experte Großbongardt dennoch an ein Comeback des US-Herstellers – auch im harten Wettbewerb mit Airbus. „Boeings aktueller CEO geht die Dinge systematisch an – bei Qualität, Lieferkette und Mitarbeiterkultur. Das ist der beste Chef, den das Unternehmen seit Jahrzehnten hatte.“ Zwar habe Airbus derzeit vor allem im Mittelstreckenbereich die Nase vorn, doch Großbongardt ist überzeugt: „Die Branche braucht zwei starke Hersteller. Nur durch Wettbewerb entsteht echter Fortschritt.“
Indische Luftfahrt vor Problemen
Der frühere Boeing-Sprecher betonte zudem, dass der Absturz der Boeing-Maschine am Donnerstag auch Fragen zur indischen Luftfahrt insgesamt aufwerfe. Indien gelte als einer der am stärksten wachsenden Luftfahrtmärkte weltweit, noch vor China. Mehrere große Flughäfen werden in dem Land gebaut. Indische Fluggesellschaften haben laut Großbongardt hunderte Maschinen bei Boeing und Airbus bestellt.
Der Experte sieht allerdings die Gefahr, dass die Infrastruktur schneller wächst als das verfügbare und ausreichend qualifizierte Personal. „Die größte Sorge ist nicht das Fluggerät, sondern das Personal“, sagte er. „Flugkapitäne kann man nicht im Eilverfahren ausbilden. Tausende reale Landungen, echte Erfahrung – das lässt sich nicht beschleunigen.“ Laut Medienberichten hatte der am Donnerstag verunglückte Co-Pilot nur rund 1100 Flugstunden, der Kapitän rund 8000. Für europäische Standards sei das extrem wenig, sagte Großbongardt. „Eine solche Cockpit-Crew würde man hier in Europa so nicht zusammenstellen.“