M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Hupensohn – über den alltäglichen Wahnsinn im Straßenverkehr

  • Juni 15, 2025

Überall „möp“, überall „tröt“: Unser Kolumnist Micky Beisenherz erlebt im Straßenverkehr, wie verdammt gereizt wir gerade alle sind.

An den drei Tagen im Jahr, an denen das Hamburger Wetter mich dazu animiert, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren, fühle ich mich wie ein besserer Mensch. Frei, wendig, mediterran lässig. Bis ich zum ersten Mal an einer Kreuzung stehe.

Da wird mir zum ersten Mal bewusst, dass dem Rad nicht nur der metallene Rahmen um den Fahrer herum fehlt. Auch die akustische Knautschzone fehlt. MÖÖÖÖÖÖP macht es neben mir. Ein infernalisch lautes Hupen, das mich fast vom Sattel haut. Mit viel eigenem Auto drum herum fällt das nicht auf, aber pur und ungefiltert ist es schon stressig. Weil der Vorderwagen nicht schnell genug losrollt: ein zweites langes Hupen. Meine Leinenhose flattert von den Schallwellen. „Alter! Hör auf zu hupen, du Penner!“, signalisiere ich dem erregten Kraftfahrzeugfahrer, während ein Lieferando-Bote auf dem E-Bike mir mitfühlende Blicke zuwirft.

Micky Beisenherz: Hupen ist nicht gleich Hupen

Klar. Er erlebt es jeden Tag. Diese Signalorgie, die den akustischen Raum verschmutzt. Das auditive Äquivalent zum Zugequalmtwerden. Horror. Die frühsommerliche Eleganz der Stadt wird dummdreist zerhupt. Erwachsene Leute, als Deutsche geübt darin, ihre Emotionen bis an die Grenze zum Pathologischen zu unterdrücken, lassen ihrem Unmut freien Lauf und hämmern auf den Buzzer in der Mitte des Lenkrades ein. Als ginge es darum, ein Abluftventil aufzudrehen.

Dabei ist Hupen nicht gleich Hupen. Es gibt das lange, tiefe Hupen. Der gesamte Unterarm stemmt sich auf den Signalkontakt, als ginge es darum, die Info in den geistesabwesenden Vordermann gänsestopfleberartig hineinzudrücken. FAHHHHDUAAAAASCH!

Dezenter wiederum ist ein kurzes Stupsen des Horns. MÖP! Ähnlich einem Antipper auf die Schulter. Ein sanftes Hey!, um die Träumerei zu beenden. An sich okay. Hier gilt es allerdings, die Zeitspanne zwischen Beginn der Grünphase und dem Einsetzen des Signals zu beachten. Liegen dazwischen nicht einmal 0,8 Sekunden, kann man schon genervt sein, den nervösen Hintermann böse anschauen und fragen, ob er es nicht vielleicht ein wenig arg eilig habe.

Das Tuten als erschöpftes Wehklagen über die Weltlage

Eine Pest hingegen sind solche, die auf der Rechtsabbiegerspur hinter dir stehen und die Trötenhand ein wenig zu locker sitzen haben. Während du noch im Außenspiegel checkst, ob Fußgänger oder Radfahrer deinen Abbiegeweg kreuzen, tutet der ignorante Hintermann dich in eine Kurzschlussreaktion hinein. Reflexartig leistest du seinem Signal Folge, biegst vorzeitig ab und nimmst einen Radler mit. Na, juten Morgen.

Dabei geht es auch eleganter. Möchte man jemanden disziplinieren oder sanft zurück ins Bewusstsein stupsen, tut es auch die gute, alte Lichthupe. Einmal kurz doppelt anblinken, und geräuschlos versteht man sich. Womöglich aber geht es nicht darum, kurzfristig auf einen Missstand aufmerksam zu machen, sondern sich mit dem mikro- bis makroaggressiven Signalhorn kurz Erleichterung zu verschaffen. Die Fahrgastzelle als Verrichtungsbox. Das Tuten als erschöpftes Wehklagen über die Weltlage. So wie man bei primitiven Völkern mit Trommeln böse Geister vertreibt, werden hier für eine Millisekunde Wahlergebnisse, Kaufkraftverluste oder demografischer Wandel schlicht weggehupt.

Die Carkofonie als Nationalhymne der Affektgesellschaft. Laut, nervig – aber besser, als stiegen sie alle aus und lebten ihre Aggression körperlich aus.

Falls Sie nach Bangalore oder Bangkok reisen sollten: Jede Kreuzung in Berlin wird Ihnen dagegen vorkommen wie ein Schweigekloster. Lauter geht immer.

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