
Die Bedrohung queerer Events steigt rasant. Und der Bundestag? Will sein Regenbogennetzwerk nicht am CSD teilnehmen lassen. Er sollte gerade jetzt Flagge zeigen.
Während queere Menschen auf deutschen Straßen nicht nur um Sichtbarkeit, sondern längst auch wieder um Sicherheit kämpfen, versteckt sich der Bundestag hinter einem schrägen Neutralitätsbegriff.
Die Entscheidung, die Regenbogenfahne am Parlament nicht zu hissen und das queere Netzwerk der Bundestagsverwaltung vom Berliner CSD auszuschließen, sendet ein fatales Signal – nicht nur an die LGBTQ-Community, sondern an alle, die sich eine wehrhafte Demokratie wünschen.
Falsch verstandene Neutralität
Wo sind die deutschen Werte hin? Fest im Grundgesetz verankert stehen Freiheit, der Schutz vor Diskriminierung und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Werte, die es in Zeiten von steigenden rechtsextremen Angriffen und Gedankengut mehr denn je öffentlich zu verteidigen gilt. Stattdessen duckt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sich weg.
Die Begründung des Bundestags ist dabei so konfus wie falsch: „Aufgrund der gebotenen Neutralitätspflicht“, wolle man sich nicht an Demonstrationen beteiligen. Nur: Der Christopher Street Day ist keine politische Demonstration im engeren Sinne, sondern ein Fest- und Gedenktag, an dem Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und allgemein queere Menschen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstrieren und ihre bereits erkämpften Rechte feiern.
Der Sinn liegt darin, sichtbar zu machen, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ein natürlicher Teil der Gesellschaft ist und ein Zeichen gegen Intoleranz, Homo- und Transphobie zu setzen. Die eigentliche Frage, die sich Klöckner deshalb gefallen lassen muss, ist: Wie kann man Menschenrechten gegenüber neutral sein?
Zudem könnte der Zeitpunkt kaum schlechter gewählt sein. Ausgerechnet in Zeiten, in denen queere Events und CSDs so stark von Gewalt und rechtsextremistischen Angriffen bedroht sind, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung vor einer Rückkehr der „Baseballschlägerjahre der 1990er Jahre“ warnt.
Die Bundestagsverwaltung verhält sich eben nicht neutral, wenn sie Angestellten verbietet, als Bundestagsmitarbeiter erkennbar am CSD teilzunehmen. Im Gegenteil: Sie sendet das Signal, dass sie vor rechten Tendenzen einknickt.
Der Bundestag sollte (Regenbogen-)Flagge zeigen
Selbst deutsche Firmen passen sich lieber der neuen politischen Großwetterlage in den USA an. Regenbogenfarben auf Logos sucht man im Pride Month Juni bei Firmen wie SAP und Lufthansa vergebens. Auch die finanzielle Unterstützung bricht weg: Organisatoren in Berlin, Köln und München beklagen übereinstimmend einen Einbruch der Spendengelder. In Berlin fehlen für den diesjährigen CSD 200.000 Euro.
All das würde für eine klare Haltung des Bundestags sprechen. Statt der nach rechts abdriftenden US-Politik zu folgen oder die Schweizer Neutralitätskeule zu schwingen, sollte die deutsche Bundesregierung mehr Flagge denn je zeigen. Neutral ist es nicht, was Klöckner macht. Es ist ein Rückzug. Und der kommt zur Unzeit.
Dieser Text erschien zuerst bei ntv.de, das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.