Militär als Klimakiller: Wie die Nato-Aufrüstung dem Planeten schadet

  • Juni 19, 2025

Bis 2050 wollen viele Staaten klimaneutral sein. Ob das gelingt, wenn aufgerüstet und Kriege geführt werden? Eine Studie, die dem stern exklusiv vorliegt, liefert ernste Prognosen.

Mit dem Pariser Klimaabkommen hatten sich die Staaten eigentlich dazu verpflichtet, die Emissionen deutlich zu reduzieren. Spätestens 2050 wollen die meisten Länder klimaneutral sein. Jede freigesetzte Tonne Kohlenstoff wird seitdem dokumentiert. Doch alle Akribie nützt nichts, wenn ein Haupttreiber des menschengemachten Klimawandels nicht in die Berechnungen einfließt: Kriege.

Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine folgten der Krieg im Gazastreifen und Israels Feldzug gegen den Iran. Die Auseinandersetzungen haben nicht nur Millionen Tonnen Kohlenstoff freigesetzt, sondern befeuern eine Aufrüstungsspirale, die die Emissionen zusätzlich in die Höhe treibt.

Wie hoch die Schäden sein werden, lässt sich allerdings kaum beziffern, denn Militärdaten werden aus Sicherheitsgründen oftmals geheim gehalten. Doch Schätzungen zufolge sind alle Streitkräfte der Welt zusammen für ungefähr fünf bis sechs Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Allein die Armeen der Nato verursachen so viel CO2, dass sie – wäre das Militärbündnis ein Land – im internationalen Ranking im oberen Drittel rangieren würde, hat eine Gruppe Nichtregierungsorganisationen errechnet.

Vor dem Hintergrund der Eskalation in Nahost und den laufenden Vorbereitungen des Klimagipfels COP30 in Brasilien hat das Forscherteam unter anderem vom Transnational Institute, wie Tipping Point North South und IPPNW jetzt erneut bilanziert, was das globale Wettrüsten für den Planeten bedeutet. Dem sternlag das Papier vor der Veröffentlichung exklusiv vor.

Wenn Militärausgaben steigen, steigen auch die Emissionen

Demnach hat die Nato ihre Militärausgaben innerhalb der letzten Jahre mit dem Zwei-Prozent-Ziel um 25 Prozent erhöht. Damit wuchs auch ihr ökologischer Fußabdruck – um 40 Prozent. Würden die Mitglieder das Zwei-Prozent-Ziel weiter einhalten, könnten sich die Emission in den kommenden Jahren noch mindestens vervierfachen. Diese Schätzungen sind vergleichsweise optimistisch. Andere Studien gehen von deutlich höheren Werten aus. Ohnehin hat sich Nato inzwischen mehr oder weniger offiziell von dem Zwei-Prozent-Ziel verabschiedet.

Egal, wie hoch der Treibhausgasausstoß schon ist und noch wird: Die Nato-Ziele konterkarieren die angepeilten Klimaziele der EU längst. Die muss nämlich bis 2030 jährlich 134 Millionen Tonnen CO2 einsparen, um ihre Emissionen verglichen mit 1990 zu halbieren. „Wir können nicht weiter aufrüsten, ohne unsere Klimaziele zu gefährden“, stellt Laura Wunder, Referentin für Klimagerechtigkeit und globale Gesundheit bei der Friedensorganisation IPPNW, klar.

Am Willen mangelt es dabei aber nicht unbedingt: 2021 hatte sich die Nato mit einem Aktionsplan dazu verpflichtet, ihren Treibhausgasausstoß stärker zu senken und zu dokumentieren. Doch vor dem Hintergrund wachsender internationaler Spannungen und Konflikte scheint das praktisch unmöglich. Ende Juni will die Nato das nächste Rüstungsziel beschließen. Dann sollen die Mitgliedstaaten 3,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgeben.

Und die Länder tun viel dafür, um diesen Zielen gerecht zu werden: Deutschland will sich künftig für seine Militärausgaben verschulden. Wie viel Geld die deutsche Bundesregierung letztlich bereitstellen wird, ist noch nicht vollständig geklärt. Im Gespräch sind Summen von mehr als 70 Milliarden Euro in diesem Jahr.

Auch die Regierungen in Großbritannien und Spanien haben sich bereiterklärt, ihre Ausgaben zu steigern. Europa mag sich damit vor militärischen Gegnern schützen. Den Gegner Klimawandel macht sie je nach Szenario damit aber nur noch größer.

Steigende Militärausgaben = sinkende Entwicklungshilfen

Insgesamt dürften in den kommenden fünf Jahren 13,4 Billionen US-Dollar in die Aufrüstung der Nato fließen, haben die Wissenschaftler in ihrer Studie errechnet. Geld, das künftig an anderer Stelle fehlen dürfte. Denn mit den Summen ließe sich beispielsweise die gesamte globale Stromerzeugung komplett auf Klimaneutralität umstellen – oder Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern drei Jahre lang finanzieren, schreiben die Wissenschaftler.

Die EU-Staaten haben bisher zwar nicht öffentlich erklärt, Klima- und Hilfsgelder in Militärausgaben umzuschichten. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchéz sprach sich beispielsweise dafür aus, Streitkräfte auch zur Bekämpfung des Klimawandels einzusetzen. Ob das wirklich hilft, wenn Militärinvestitionen steigen, während Hilfs- und Entwicklungsgelder gekürzt werden, ist fraglich.

Die Nato kann (nicht) abrüsten

Insgesamt legen die Berechnungen der NGOs und Friedensforscher nur einen Bruchteil dessen offen, was Militär und Kriege tatsächlich mit dem Planeten anrichten. Denn die errechneten Emissionen beziehen sich nur auf die Produktions- und Lieferketten der Ausrüstung – nicht auf deren Einsatz.

Diese berücksichtigt, wären die tatsächlichen Emissionswerte deutlich höher: Allein Putin hat mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine bisher ungefähr 230 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, was in etwa den jährlichen Emissionen Spaniens entspricht.

Der Gaza-Krieg soll innerhalb der ersten zwei Monate 281.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid verursacht haben, während sich die Klimaschäden des israelischen Feldzuges gegen den Iran noch gar nicht beziffern lassen. Dazu käme noch der indirekte Treibhausgasausstoß des umgeleiteten Flugverkehrs wegen geschlossener Lufträume und durch den Wiederaufbau zerstörter Gebiete.

Deshalb fordern die Studienautoren und die Friedensorganisation IPPNW die sofortige Abrüstung der Nato. Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen und immer mehr Konflikten erscheint diese Forderung mehr als unrealistisch. Zumal sich Staatschefs wie Wladimir Putin oder Benjamin Netanjahu davon kaum beeindrucken lassen dürften. Allerdings, so befürchten die Friedensforscher, könnten die ambitionierten Nato-Ziele auch Staaten wie China zum Wettrüsten animieren – „was wiederum Auswirkungen auf (…) eine mögliche Umleitung von Klima- und Sozialinvestitionen zu militärischen Zwecken hätte“, mutmaßt die Studie.

Wird die nächste Klimakonferenz ein Friedensgipfel?

Immerhin können die Friedensforscher einen Erfolg verbuchen: Seit einigen Jahren werden Kriege öffentlich vermehrt als Klimakiller diskutiert. Einen Beitrag dazu leistete auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Dessen Regierung hatte eine Plattform ins Leben gerufen, über die Bürger die Schäden melden konnten, um einen „russischen Ökozid“ nachweisen zu können. Es ist das erste Mal, dass Umweltschäden eines Krieges so akribisch dokumentiert werden. Beim Klimagipfel COP27 in Ägypten thematisierte Selenskyj die Umweltzerstörung durch den russischen Angriffskrieg und sprach davon, dass sich die Welt „keinen einzigen Schuss leisten“ könne.

Bei dem internationalen Treffen in Dubai im Jahr darauf verabschiedeten die Teilnehmer die Declaration of Peace, Recovery and Resilience. Dabei ging es zwar nicht direkt um Militäremissionen, aber um den Zusammenhang zwischen gewaltsamen Konflikten, humanitären Notlagen und der Klimakrise. Bei der COP29 in Aserbaidschan 2024 wurde der Baku Call on Climate Action for Peace, Relief, and Recovery verabschiedet, der die Abrüstung und die Friedensbemühungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel betonte.

„Wir hoffen, dass die brasilianische Präsidentschaft in diesem Jahr daran anknüpfen wird“, sagt Laura Wunder vom IPPNW und fügt hinzu: „Ich kann verstehen, dass Abrüstung in diesen Zeiten schwer erscheint. Aber wir sollten auf keinen Fall auf 3,5 Prozent aufrüsten.“

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