
Allein 11 der 13 Kinder aus der syrischen Familie sollen polizeibekannt sein. Nun ist der Prozess gegen drei Brüder in Stuttgart zu Ende gegangen. Warum das auch politisch wichtig ist.
Ein falscher Blick soll schon ausgereicht haben, eine Nichtigkeit vielleicht, damals, am frühen Abend und mitten auf der Königsstraße, der zentralen Stuttgarter Einkaufsmeile. Die drei Brüder fühlten sich provoziert, einer von ihnen zog ein Messer und stach zu, so sieht es zumindest die Kammer des Stuttgarter Landgerichts. Drei Menschen wurden bei dem Handgemenge vor einem Jahr verletzt, ein Opfer schwebte in Lebensgefahr.
Eine Straftat, eine Sache der Justiz. Aber der Prozess gegen die Männer, der nun mit Haftstrafen für die drei angeklagten Brüder zu Ende gegangen ist, ist deutlich mehr als nur eine Strafsache gewesen.
Der Elefant im Raum
Wie der sprichwörtliche Elefant stand an jedem Verhandlungstag auch die politische Diskussion um gewalttätige Flüchtlinge und die für viele gescheiterte deutsche Migrationspolitik mitten im Raum. Denn die Brüder stammen aus einer syrischen Großfamilie, die durch deutlich mehr als 150 Anzeigen, Anklagen und auch durch Verurteilungen bei Polizei und Justiz aktenkundig ist.
Ihr werden gefährliche Körperverletzungen, Raub und Schleuserdelikte vorgeworfen, sie soll sich Leistungen erschlichen, gegen das Waffengesetz verstoßen und Polizisten widersetzt haben. Drei weitere Brüder der nun Verurteilten sitzen bereits wegen anderer Taten in Haft.
Auch Behörden in der Kritik
Der Umgang mit der Familie hat aus Sicht der Kommunalpolitik das Sicherheitsgefühl in Stuttgart erschüttert. Muss der Staat bei so einer Familie ohnmächtig zuschauen? Haben die Behörden versagt? Viele Fragen, bislang weit weniger Antworten. Deshalb beschäftigt das lange Polizeiregister der Familie sogar die Landesregierung.
„Fälle wie der dieser kriminellen Großfamilie können zu einer pauschalen Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderern führen. Da wird dann möglicherweise nicht mehr differenziert“, sagte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) zuletzt der „Süddeutschen Zeitung“. Dabei sei eine Stadt wie Stuttgart mit Weltunternehmen wie Mercedes, Bosch, Porsche, den vielen Mittelständlern auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen, „auf Leute, die mit anpacken, sich integrieren, die Stadt auch kulturell bereichern“.
Der Vorwurf
Die drei Brüder – zum Prozessauftakt noch 17, 23 und 27 Jahre alt – haben nach Überzeugung der Justiz und auch nach eigenen Schilderungen im vergangenen Juni bei einem Streit mehrere Touristen – ebenfalls Syrer – in der Stuttgarter Fußgängerzone angegriffen. Vor dem Angriff habe sich die Schwester durch Blicke der anderen Gruppe belästigt gefühlt, davon zeigte sich zumindest der Staatsanwalt überzeugt. Die Brüder sprechen hingegen von einem Gerangel und Notwehr.
Die Urteile
Das Landgericht wertete das im Fall des ältesten Bruders als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und verurteilte den jungen Mann zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 4 Monaten. Seine jüngeren Brüder erhielten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen eine Jugendstrafe von 5 Jahren sowie eine Haftstrafe von 4 Jahren.
Vor dem Urteil hatte sich einer der drei Brüder noch reumütig gezeigt. „Es tut mir wirklich leid, was wir getan haben“, sagte der junge Mann in seinem letzten Wort unter Tränen. „Ich weiß, es war ein Fehler.“
Die Familie
Zur Familie sollen neben dem ebenfalls bereits polizeibekannten Vater zwei noch lebende Ehefrauen sowie mindestens zehn Geschwister und Halbgeschwister der nun angeklagten drei Männer gehören. Alle Mitglieder der Familie sind laut Innenministerium syrische Staatsbürger, sie kamen zwischen 2015 und 2020 nach Deutschland und genießen Flüchtlings- oder subsidiären Schutz. Dieser setzt voraus, dass Menschen nicht in Ihr Herkunftsland zurückkehren können, obwohl sie weder als Flüchtlinge anerkannt noch asylberechtigt sind.
Und die rechtliche Hürde
Aber wäre es nicht besser, die kriminellen und verurteilten Familienmitglieder einfach zurück nach Syrien abzuschieben statt Elf-Punkte-Pläne vorzulegen, die Waffenverbotszone auszuweiten und noch mehr Videokameras aufzuhängen? Für das Sicherheitsgefühl und die Akzeptanz mag das sein, rechtlich wird es kniffelig.
Denn eine Abschiebung der kriminellen Familienmitglieder ist bislang an bestehenden Aufenthaltsrechten und Abschiebungsverboten gescheitert, heißt es im Landesjustizministerium zu dem Fall. Außerdem waren Abschiebungen nach Syrien in den vergangenen Jahren faktisch nicht möglich. Das könnte sich unter der neuen Bundesregierung ändern. Sie will mit einer „Rückführungsoffensive“ den Weg ebnen. „Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag.
Deshalb macht sich Justiz-Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU) nun Hoffnungen und sagt: „Wir setzen alles daran, sie direkt aus der Haft nach Syrien abzuschieben.“