
Ausländische Geheimdienste retten Leben – und bringen mich zum Umdenken: Plötzlich erscheint die Vorratsdatenspeicherung als notwendiges Übel.
Keine Ahnung, wie oft ich mich in den letzten Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen habe. Da war ich ganz auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, die die Vorratsdatenspeicherung als rechtswidrig eingestuft haben, weil sie gegen Grundrechte verstößt – insbesondere gegen die informationelle Selbstbestimmung, die Privatsphäre und das Fernmeldegeheimnis.
Die Vorratsdatenspeicherung stellt alle Menschen, die sich im Netz bewegen, unter Generalverdacht. Wenn Polizei und Geheimdienste IP-Adressen oder Standortdaten speichern, wenn sie speichern, wer was wann im Internet macht, dann sind es nur wenige Schritte bis zum totalitären Staat. Mit der Vorratsdatenspeicherung ist es ein Leichtes, zu rekonstruieren, wer sich wann wo aufhält, mit wem er oder sie Kontakt hält, was gepostet wird und welcher Meinung jemand ist.
Deutsche Behörden sind zu oft machtlos
Im Vergleich dazu wäre die Staatssicherheit der DDR ein harmloser Verein gewesen. Vorratsdatenspeicherung hat nichts mit Rechtsstaat zu tun – das war immer meine Meinung. Und das ist sie eigentlich noch immer. Aber manchmal wird man von der Realität eingeholt.
Der Hinweis, dass im Netz ein „White Tiger“ aus Hamburg unterwegs ist, um offenbar schwerste Straftaten zu begehen, kam aus den USA. Noch gilt die Unschuldsvermutung. Aber wenn das, was die Polizei Hamburg jetzt veröffentlicht hat, stimmt, hätte es ohne die Hilfe der Amerikaner womöglich weitere Opfer gegeben. Die deutschen Ermittlungsbehörden wären machtlos gewesen.
Es ist nicht das erste Mal, dass uns die Amerikaner oder andere Geheimdienste freundlicherweise gewarnt haben. Zahlreiche Terroranschläge, die in Deutschland geplant waren, wurden vereitelt, weil befreundete Dienste so nett waren, ihre Informationen mit deutschen Ermittlungsbehörden zu teilen. 2022 ging die Bundesregierung von sechs Anschlagsplänen seit 2011 aus, die offenbar durchkreuzt wurden, weil unter anderem CIA, FBI, der israelische Mossad oder Schweizer Sicherheitsbehörden Alarm schlugen. Inzwischen könnten es noch mehr geworden sein.
2021 wurde das Urteil gegen ein Ehepaar aus Köln rechtskräftig. Die beiden Islamisten hatten einen Terroranschlag mit dem tödlichen Gift Rizin geplant, das sie in eine Splitterbombe füllen wollten. Es wäre der erste Terroranschlag mit einem biologischen Kampfstoff in Deutschland geworden. Es hätte vermutlich mehrere hundert Tote gegeben. Der amerikanische Geheimdienst CIA hatte die Kolleginnen und Kollegen beim Verfassungsschutz in Deutschland gewarnt. Nur deshalb wurden die Islamisten gestoppt.
Vorratsdatenspeicherung kann Leben retten
Zurzeit steht in Itzehoe ein Teenager vor Gericht, der einen Anschlag geplant haben soll, bei dem er „möglichst viele Ungläubige“ töten wollte. Auch hier waren es die Amerikaner, die den Tipp ans Bundeskriminalamt weitergegeben hatten. 2022 wurde ein 16-Jähriger aus Hagen verurteilt. Er hatte einen Anschlag auf eine Synagoge geplant. Auch in diesem Fall kam der Tipp von einem ausländischen Geheimdienst.
Und nun der „White Tiger“ von Hamburg, der ohne das FBI wohl nicht festgenommen worden wäre.
Die Frage ist: Wie lange können sich deutsche Ermittler noch auf ihre amerikanischen Freunde verlassen – und auf die anderen Dienste? Wann ist die Zeit für ein Umdenken gekommen?
Der EuGH hat 2022 entschieden, dass die Sicherheitsbehörden durchaus gezielt und zeitlich begrenzt Daten speichern dürfen, wenn es um eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit geht. Vor dem Hintergrund all dieser Fälle habe ich meine Meinung geändert: Wir brauchen eine Vorratsdatenspeicherung – und sei es nur für ein paar Monate. Kann sein, dass sich Kriminelle darauf einstellen. Und ja, damit werden Grundrechte verletzt. Aber es geht um Menschenleben.
Und das wiegt für mich im Zweifel schwerer.