
Beim Lieferkettengesetz setzen sich die EU-Mitgliedstaaten für weitere Zugeständnisse an die Wirtschaft ein. Neben des schon beschlossenen Aufschubs der Vorgaben auf 2028 vereinbarten die Vertreter der 27 Länder am Montagabend in Brüssel, dass die Regeln für deutlich weniger Unternehmen gelten sollen. Die Firmen sollen zudem weniger Daten zu ihren Produktionsketten liefern müssen. Die Änderungen gehen nun in die Verhandlungen mit dem Europaparlament.
Mit dem Gesetz will die EU eigentlich Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Jahresumsatz für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihrer Produktion in die Pflicht nehmen. Diese Schwelle wollen die Regierungen der EU-Länder nun anheben, auf mindestens 5000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro.
Der Entwurf entspräche einem Lieferkettengesetz, wie es derzeit in Frankreich in Kraft ist. Das deutsche Gesetz schreibt, wie bislang auf EU-Ebene vorgesehen war, Regeln für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten vor, die schwarz-rote Bundesregierung will es aber ohnehin abschaffen.
Nach Einschätzung der Initiative Lieferkettengesetz würde den Ratsentwürfen zufolge nur noch ein Bruchteil der bisher betroffenen Firmen unter das Gesetz fallen. „Dieses Vorgehen beschönigend als ‚Vereinfachung‘ der Regeln zu rechtfertigen, ist schlicht zynisch“, erklärte die Koordinatorin der Inititative, Heike Drillisch. Die vom Rat der Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Änderungen „hebeln den Kern der Sorgfaltspflichten aus und schwächen die Wirkung der Regelungen erheblich“.
Die Mehrheit der EU-Länder sprach sich für weitere Lockerungen aus. Die betroffenen Firmen sollen etwa nicht mehr in ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherstellen müssen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Die Regierungen wollen zudem weniger detaillierte Angaben von den Unternehmen einfordern, strenge Vorgaben soll es nur noch für Lieferketten mit einem besonders hohen Risiko geben.
Die EU-Länder wollen zudem eine bislang vorgesehene EU-weite zivilrechtliche Haftung für die Vorgaben abschaffen. Klagen gegen Unternehmen wegen Verstößen gegen das Gesetz würden damit erschwert. Gerichtsverfahren hingen von der Rechtsprechung im jeweiligen EU-Land ab.
Neben dem Lieferkettengesetz sind auch Lockerungen bei der Nachhaltigkeits-Berichterstattung von Unternehmen geplant. Das entsprechende EU-Gesetz soll den Vorstellungen der EU-Länder zufolge nicht mehr ab 500 Beschäftigten, sondern erst ab 1000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro gelten. Nach Einschätzung der EU-Kommission fallen damit rund 80 Prozent der betroffenen Unternehmen nicht mehr unter das Gesetz.
Der Rat der 27 Mitgliedstaaten muss nun mit dem Europaparlament über die Lockerungen beraten, die Abgeordneten haben dazu noch keine Verhandlungsposition verabschiedet. Ein Aufschub des Gesetzes ist hingegen schon beschlossen: Die ersten Regeln gelten ab dem 26. Juli 2028, ein Jahr später als zuvor geplant.
Sowohl Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten in den vergangenen Wochen gefordert, das Lieferkettengesetz ganz abzuschaffen. In Berlin sorgte das für Spannungen, Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan und Finanzminister Lars Klingbeil (beide SPD) widersprachen Merz.