
SPD-Wahlverlierer OIaf Scholz ist mit sich selbst im Reinen: Seine Kanzlerschaft findet er auf dem Parteitag besser als ihren Ruf. Von eigenen Fehlern ist bei ihm keine Rede.
Einen besonderen Applaus erhält Olaf Scholz gleich am Anfang für das Ende. Als noch vor seiner Rede auf dem SPD-Parteitag in einem Video an den Moment erinnert wird, als er Finanzminister Christian Lindner aus der Regierung warf, jubeln die Delegierten. Es ist ein Moment gefühlter sozialdemokratischer Selbstbehauptung, der in der SPD inzwischen fast schon Kult-Charakter hat, so wie einst das Nein Gerhard Schröders zum Irak-Krieg, für das er auch viele Jahre später noch bejubelt wurde.
Scholz‘ Bruch mit der FDP hat für die SPD Kult-Charakter
Olaf Scholz wird diese Abneigung gegen Lindners Liberale später in seiner Rede ein wenig relativieren und sagen, es sei trotzdem gut gewesen, die Chance zur Modernisierung des Landes in einer Ampel-Koalition ohne die Union zu nutzen. Er kann ja schlecht den Bruch der Regierung als seine bedeutsamste Entscheidung erscheinen lassen. Diese Klarstellung ist der Auftakt zu einer Abschiedsrede des abgewählten Kanzlers, in der er einiges über das sagen wird, was er gut fand, aber kein Wort zu dem, was schiefgelaufen ist. Geschweige denn zu eigenen Fehlern.
50 Jahre ist Scholz in diesem Jahr Mitglied der SPD – ein Umstand, dessen Erwähnung die Delegierten noch ein wenig weicher macht im Umgang mit dem vierten sozialdemokratischen Bundeskanzler, allerdings demjenigen mit der kürzesten Amtszeit. Die große Mehrheit im Saal scheint an diesem Tag entschlossen zu sein, den Ex-Kanzler zu feiern. Den Frust haben viele Delegierte schon am Vortag an ihrem Parteichef Lars Klingbeil abgelassen.
Scholz war nie ein Liebling der Partei, und Parteitage waren für ihn selten erbauliche Termine. Geradezu traumatisch bleibt seine Wiederwahl als Generalsekretär des Parteivorsitzenden Gerhard Schröder 2003 auf dem Bochumer Parteitag auf dem Höhepunkt der Agenda-Debatten. Scholz erhielt nur 52 Prozent.
Auch später, wenn er sich in die Parteiführung wählen ließ, erzielte er durchwachsene Ergebnisse, die umso schlechter ausfielen, je besser er im richtigen Leben bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg abschnitt, wo er zeitweilig der einzige Ministerpräsident der SPD war, der mit absoluter Mehrheit regierte. Diese Diskrepanz zwischen öffentlichem Ansehen und parteiinterner Fremdheit blieb erhalten. Die SPD wollte ihn nicht als Vorsitzenden, nahm ihn aber als Kanzlerkandidaten hin, weil kein anderer eine realistische Chance gehabt hätte. Und dann gewann er völlig überraschend.
Olaf Scholz setzt auf Wir-Gefühl und entlastet sich damit selbst
Dankbarkeit ist ein Wort, das in dieser Rede häufig fällt. Scholz sagt, er wolle nicht von seiner Kanzlerschaft sprechen. „Es geht um unsere Kanzlerschaft.“ Und dann dankt er allen, von früheren Vorsitzenden wie Andrea Nahles und Martin Schulz über die Partei- und Fraktionsführung während seiner Kanzlerschaft bis hin zu den Ministerinnen und Ministern, „mit denen ich die Ehre hatte zu arbeiten“. Das kommt gut an, soll ihn aber vielleicht schon mal vorab von der Verpflichtung entlasten, die Niederlage allein auf sich zu nehmen.
Der russische Krieg in der Ukraine nimmt viel Platz ein in dieser Rede. Scholz verteidigt die Zeitenwende, die Waffenlieferungen und auch die Milliarden für die Bundeswehr als „notwendige Konsequenzen“. Deutschland sei „mit weitem Abstand“ der größte Unterstützer der Ukraine in Europa geworden – „und wird das auch bleiben“. Mehr sagt er nicht zu den parteiinternen Debatten, die gerade auch in der Russland-Politik zuletzt für Unruhe gesorgt hatten.
„Wir haben zusammen viel bewegt“, findet Scholz. Er nennt das Selbstbestimmungsrecht, das Staatsbürgerschaftsrecht, die beschleunigten Genehmigungsverfahren. Auch die Migrationszahlen sänken jetzt wegen der Maßnahmen der Ampel-Koalition. Gerade weil die Ampel am Streit über 15 Milliarden Euro gescheitert sei, erfülle es ihn mit besonderer Genugtuung, dass jetzt Hunderte Milliarden für Verteidigung und Infrastruktur locker gemacht würden – ein Gesetz, dass er als geschäftsführender Kanzler unterschrieben habe, weil es noch vom alten Bundestag verabschiedet wurde. An so einem Detail kann er sich ergötzen.
Irgendwann in dieser Rede wäre es für Olaf Scholz vielleicht angezeigt gewesen, auch etwas zum letzten Wahlkampf zu sagen, zu seiner Fehleinschätzung, noch einmal eine Aufholjagd wie 2021 bewirken zu können, vielleicht sogar zum Ansehens-, ja Vertrauensverlust, den er als Kanzler in der Bevölkerung erlitt und der die SPD in ein 16-Prozent-Ergebnis abstürzen ließ. Aber dazu sagt er nichts.
Stattdessen gibt er seiner Partei mit, weiter über den Zusammenhalt der Gesellschaft zu reden, über sein Leitmotiv des Respekts auch für Menschen ohne Doktortitel oder berufliche Karriere. Das soll wohl eine Art Vermächtnis sein.
Die SPD müsse auch für den Arbeitnehmer da sein, der bei Amazon Pakete packe und irgendwann in Rente gehe. Für die Kassiererin und den Krankenpfleger. Scholz, der offenkundig nicht beabsichtigt, sein Abgeordnetenmandat im Bundestag aufzugeben, das einzige SPD-Direktmandat in ganz Ostdeutschland, dieser Olaf Scholz also kündigt an, sich an den programmatischen Diskussionen weiter zu beteiligen, „in der gegebenen Ordnung“, wie er in einem Anflug von Demut formuliert.
Und er gibt noch ein Versprechen ab, das die Delegierten nach der Erfahrung mit dem Zeitungs-Leitartikler Helmut Schmidt und dem Putin-Freund Gerhard Schröder mit belustigter Zustimmung zur Kenntnis nimmt: „Ich habe vor, ein ehemaliger Kanzler zu sein, über den sich die SPD immer freut.“