
An der Uni Gießen haben Wissenschaftler eine Verbindung entwickelt, die zum weltweit effizientesten Energiespeicher werden könnte – und zum Raketentreibstoff.
In der Wissenschaftswelt sorgt die Leistung für Begeisterung: Ein Team der Justus-Liebig-Universität Gießen um den Chemie-Professor Peter R. Schreiner hat Hexastickstoff, kurz „N6“, hergestellt. „Dies ist das energiereichste Molekül, das jemals hergestellt wurde“, so Studienleiter Schreiner. Zudem sei es zuvor weltweit nicht gelungen, eine isolierbare, neutrale Verbindung aus reinem Stickstoff zu produzieren, die mehr als zwei Atome hat.
„N6“ doppelt so stark wie TNT
Die bei der Zersetzung von Hexastickstoff frei werdende Energie ist nach Studienangaben rund zweimal größer als die des Sprengstoffs TNT. Doch die Forscher blicken auf einen anderen Einsatz. „In der Tat wäre Hexastickstoff damit der effizienteste Energiespeicher„, sagt Schreiner. Zudem entstehe beim Zerfall von Hexastickstoff (N6) lediglich der ungiftige, zweiatomige Stickstoff (N2). Er ist kein Treibhausgas und macht ohnehin 78 Prozent unserer Luft aus.
Bis zur praktischen Anwendung ist jedoch noch einiges zu tun: Bislang entsteht Hexastickstoff laut Studie zwar bei Raumtemperatur, hat dort aber eine Halbwertzeit von nur etwa 35,7 tausendstel Sekunden – dann ist die Hälfte zerfallen. Das sei lange genug, um den produzierten Hexastickstoff bei sehr tiefen Temperaturen aufzufangen. Bei minus 196 Grad Celsius habe er eine berechnete Halbwertszeit von mehr als 100 Jahren. Das entspricht der Temperatur von flüssigem Stickstoff, der in vielen Laboren als Kühlmittel genutzt wird.
Nobelpreiswürdig
Als Sprengstoff eigne sich Hexastickstoff nicht, wohl aber zum Raketenantrieb. „N6 würde nicht mit einer Flamme verbrennen“, erklärt Schreiner im Magazin „Chemistry World“. Es gebe nur einen Energiestoß, der ein großes Volumen an Gas produziere – also viel Schub. Zudem erzeuge er im Gegensatz zu herkömmlichen Treibstoffen keine Korrosion. „Diese Arbeit ist spektakulär und meiner Meinung nach nobelpreiswürdig“, kommentiert Karl Christe, emeritierter Chemiker der University of Southern California, in derselben Fachzeitschrift. Der deutschstämmige 88-Jährige hat etliche Fachartikel zu Stickstoffverbindungen verfasst.
Das Gießener Forscher-Team hat seine Ergebnisse ausführlich im Journal „Nature“ veröffentlicht. Einfach nachzumachen ist das neue N6-Molekül jedoch nicht. „Die Handhabung sehr energiereicher Verbindungen ist immer mit Risiken verbunden, wenn deren Zersetzung unkontrolliert passiert und alle Energie auf einmal freigesetzt wird“, warnt Peter R. Schreiner. Künftig müsse daher noch an der sicheren Herstellung und Handhabung von N6 gearbeitet werden und an der kontrollierten Umwandlung in gewöhnlichen Stickstoff (N2). Zudem sei es nötig, die Reaktion in größere Maßstäbe zu übertragen.