
Die Säuglingsschwester Lucy Letby wurde 2023 wegen Mordes an sieben Frühchen und des versuchten Mordes an sieben weiteren verurteilt. Doch sie soll noch mehr Babys getötet haben.
Lucy Letby wurde am 22. August 2023 von einem Gericht in Manchester zu einer fünfzehnfach lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Kinderkrankenschwester aus Großbritannien soll in den Jahren 2015 und 2016 auf der Intensivstation für Neugeborene des Krankenhauses Countess of Chester im Nordwesten Englands sieben Babys getötet haben. In sieben weiteren Fällen wird ihr versuchter Mord vorgeworfen. Möglicherweise hat die 35-Jährige noch weitere Morde begangen.
Wie unter anderem die britische BBC berichtet, hat die Polizei von Cheshire andere Vorfälle untersucht, die bis ins Jahr 2012 zurückreichen und Letbys Karriere und Ausbildung in Liverpool betreffen. Dem Bericht nach sollen die Ermittler eine „vollständige Akte mit Beweisen“ bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht haben. Informationen über die genaue Anzahl und die Art der möglichen neuen Straftaten gibt es jedoch nicht. Die „Daily Mail“ geht jedoch davon aus, dass mehr als ein Dutzend potenzieller Straftaten in der Akte enthalten sind. Demnach erwägt die Staatsanwaltschaft, weitere Anklagen gegen Lucy Letby zu erheben, nachdem sie die Fälle geprüft hat.
Unabhängig davon gab die Polizei am Dienstag bekannt, dass drei leitende Mitarbeiter des Krankenhauses festgenommen wurden. Sie seien zur Zeit der Morde Teil des Leitungsteams der Klinik gewesen und am Montag wegen des Verdachts der Tötung durch schwere Fahrlässigkeit festgenommen worden, sagte Kriminalkommissar Paul Hughes. Inzwischen wurden sie gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt.
Lucy Letby beteuert ihre Unschuld
Der Fall Lucy Letby sorgte landesweit für Schlagzeilen: „Monster auf Station“, „Großbritanniens schlimmste Kindermörderin“ und „Augen des Bösen“ titelten die Blätter. Die Kinderkrankenschwester wurde erstmals im Juli 2018 festgenommen, nachdem Kolleginnen und Kollegen aufgefallen war, dass alle Babys gestorben waren, während sie im Dienst war. Mangels ausreichender Beweise wurde sie jedoch wieder freigelassen. Eine zweite Festnahme erfolgte im Juni 2019, ebenfalls erneut ohne Anklage. Erst bei der dritten Festnahme im November 2020 lagen genügend Beweise vor, sodass Letby in Untersuchungshaft kam und schließlich angeklagt wurde. Bis heute beteuert sie ihre Unschuld. Auf frischer Tat ertappt wurde sie nie. Die Anklage stützte sich ausschließlich auf Indizien.
Vor Gericht erklärte unter anderem ein professioneller medizinischer Gerichtsgutachter und Kinderarzt im Ruhestand, Letby habe den Säuglingen in einigen Fällen Insulin, in anderen Fällen Luft in die Blutbahn gespritzt. Dabei stützte er sich maßgeblich auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung über Luftembolien aus dem Jahr 1989, in der Verfärbungen der Haut beschrieben werden, die an die Todesfälle im Countess of Chester erinnerten.
Der kanadische Neonatologe, Shoo Lee, einer der Autoren des Papiers, reagierte entsetzt und warf der Anklage vor, seine Erkenntnisse missinterpretiert zu haben. Er initiierte ein ehrenamtliches und unabhängiges Gremium von 14 führenden Experten, die zu dem Schluss kamen, dass die Todesfälle allesamt andere Gründe hatten. „Wir haben keine Morde festgestellt. In allen Fällen waren Tod oder Verletzung auf natürliche Ursachen zurückzuführen oder schlicht auf schlechte medizinische Versorgung“, sagte Lee. In manchen Fällen stellten die Experten gravierende Behandlungsfehler durch Ärzte fest und sie bestätigen das Bild einer teils chaotischen Station, deren Mitarbeiter überarbeitet und überfordert waren.
Anträge auf Berufung abgelehnt
Zudem hatten sich auch Statistiker kritisch zu dem Verfahren gegen Letby geäußert. Die Verurteilung, die weitgehend darauf basierte, dass es häufig zu Todesfällen kam, während die Krankenschwester im Dienst war, sei wackelig. Beleuchtet worden seien dabei nämlich nur die Todesfälle, die sich ereigneten, als Letby im Dienst war. Es gab aber auch welche, während sie freihatte.
Ob der Fall noch einmal vor Gericht verhandelt wird, ist ungewiss. Letby beteuert bis heute ihre Unschuld. Zwei Anträge auf Zulassung einer Berufung gegen das Urteil wurden vom Berufungsgericht bereits abgelehnt. Ihre letzte Hoffnung beruht nun auf einer Justiz-Kommission, die darüber entscheiden soll, ob der Fall neu aufgerollt werden muss. Doch das kann Jahre dauern. Letby ist erst die vierte Frau in der britischen Geschichte, die ohne Aussicht auf eine Entlassung im Gefängnis sitzt.
Quellen: BBC, „Daily Mail“, AFP, mit Archivmaterial der DPA