
Jamal Musialas Ausfall schwächt den FC Bayern enorm – und legt die Fehler in der Transferpolitik offen. Der Verein steht unter Handlungsdruck und ist erpressbar wie nie zuvor.
Es waren Bilder des Grauens, so verstörend, dass der Pay-TV-Sender DAZN auf eine Wiederholung verzichtete. Das heißt schon was, denn DAZN ist geradezu besessen davon, Spielern jede Gefühlsregung, sei es der Freude oder des Schmerzes, per Superzeitlupe aus dem Gesicht zu zoomen.
Doch diese Szene, geschehen in der 45. Minute der Partie Paris Saint-Germain gegen den FC Bayern, war dem Publikum kein zweites Mal zuzumuten: Wie der PSG-Torhüter Gianluigi Donnarumma, ein Hüne von einem Mann, zur Seite hechtet und Bayerns Jamal Musiala fällt wie einen Baum.
Musiala blieb sofort liegen. Sein linker Fuß stand unnatürlich abgespreizt, fast im rechten Winkel zum Bein. Ein Bild, das schon beim Betrachten weh tat.
Es ist das Bild, das den FC Bayern noch Wochen beschäftigen wird. Jamal Musiala, 22, der begabteste und wichtigste Spieler der Münchener, wird mindestens vier bis fünf Monate ausfallen. So lange braucht Musiala, um sich vom Wadenbeinbruch zu erholen, den er erlitten hat beim 0:2 gegen Paris im Viertelfinale der Klub-WM, dem überflüssigsten Wettbewerb des Weltfußballs.
Musialas Ausfall bedeutet nicht nur sportlich eine erhebliche Schwächung für den FC Bayern. Er stellt auch die komplette Transferstrategie des Vereins infrage. Gerade erst hatte man sich die Niederlage im Werben um Florian Wirtz damit schöngeredet, dass man ja einen Musiala im Kader habe, nicht minder talentiert und auf einer ähnlichen Position spielend. Zudem hatten die Bayern den Weggang von Leroy Sané zu verkraften, der ein verbessertes Vertragsangebot gefordert hatte, keines bekam und vor wenigen Tagen zu Galatasaray Istanbul wechselte. Fehlen wird künftig auch Thomas Müller, von Sportvorstand Max Eberl aussortiert aus Altersgründen. Gegen Paris bestritt Müller sein letztes Spiel für den FC Bayern nach 25 Jahren im Verein.
Viele Planstellen sind unbesetzt
Für jede einzelne dieser Personalentscheidungen mag es gute Gründe gegeben haben. Wirtz: mit 150 Millionen Euro zu teuer, Sané: zu launenhaft und schwankend in den Leistungen, Müller: über dem Zenit, besetzt zudem einen Kaderplatz, den man besser einem jungen, aufstrebenden Spieler geben sollte.
In der Summe aber erwächst daraus ein Problem für den FC Bayern, das mit der Verletzung von Musiala nur noch dringlicher geworden ist: Wichtige Planstellen im offensiven Mittelfeld sind vakant – nur sieben Wochen, bevor die neue Bundesligasaison beginnt. Wer spielt nun auf der Position zehn hinter der Sturmspitze – also dort, wo Musiala und Müller wirkten? Wer soll Sané auf dem Flügel ersetzen? Tatsächlich Serge Gnabry oder Kingsley Coman, der eine formschwach, der andere verletzungsanfällig?
Dieser Transfersommer droht ein finsterer zu werden für den FC Bayern. Bislang handelten sich die Bayern nur Absagen ein im Bemühen, die Offensive zu verstärken. Nico Williams bleibt vorerst in Bilbao und wird, wenn überhaupt, zum FC Barcelona wechseln. Das ist jedenfalls sein öffentlich geäußerter Wunsch. Rafael Leao vom AC Milan wird auch nicht kommen, trotz anderslautender Gerüchte. Er habe mal im Blickfeld des FC Bayern gestanden, doch nie einen Kandidatenstatus erreicht, verriet Bayern-Aufsichtsrat Uli Hoeneß kürzlich.
Überhaupt: Uli Hoeneß. Er macht Max Eberl derzeit das Leben schwer mit seinen Zwischenrufen. Über Nick Woltemade etwa sagte Hoeneß, dass er den Stuttgarter für „einen sehr, sehr guten Spieler“ halte, der „prima zu uns passen würde“, aber man müsse ihn nicht zu jedem Preis holen: „Wenn nicht, dann nächstes Jahr.“
Der FC Bayern wird hohe Ablösesummen zahlen müssen
Das Problem: Hoeneß sagte diese Sätze vor dem Wadenbeinbruch von Musiala. Jetzt ist die Lage eine völlig neue, jetzt steht Sportdirektor Eberl unter gewaltigem Handlungsdruck. Wie gern würde er Woltemade schon jetzt holen als spielenden Stürmer, so wie Thomas Müller in seinen besten Zeiten mal einer war?
In Stuttgart werden sie um die Not der Bayern wissen. 100 Millionen Euro Ablöse hat der VfB zuletzt aufgerufen für den 23 Jahre alten Woltemade, der gerade mal eine starke Saisonhälfte vorweisen kann.
Seit diesem Wochenende, seit dem Unglück von Jamal Musiala, sind die Bayern erpressbar wie selten zuvor den vergangenen Jahren. Eigentlich hätte Eberl durch Spielerverkäufe für ein ausgeglichenes Transferbudget sorgen sollen. Das wird nicht möglich sein in diesem Sommer. Im Gegenteil. Der FC Bayern wird es wohl machen wie die schwarz-rote Koalition: Ein Sondervermögen beschließen und versuchen, mit viel Geld die Fehler der Vergangenheit zu beheben.