
Adoptionen gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch im Tierreich. Einen Fall habe ich selbst erlebt, als ein kleiner verstoßener Bulle eine neue Mutter fand.
Einen schlechteren Start ins Leben hätte Kälbchen Fridolin nicht haben können: Geboren in einer stürmischen Frühlingsnacht auf einer Weide in meiner Nachbarschaft am Stadtrand von Hamburg, krumme Beine, auf denen der Kleine schlecht stehen konnte – und die Mutter wollte ihn nicht säugen.
Die Besitzer probierten alles, um die Kuh dazu zu bringen, den Kleinen mit Milch zu versorgen. Doch sie stieß ihn weg, und Fridolin wurde zum Flaschenkind: Auf der Weide erarbeiteten die Besitzer mit einigen Anwohnern einen Fütterungsplan. Zu festgesetzten Zeiten stiefelten wir mehrfach am Tag zu dem Neugeborenen auf die Weide und gaben ihm seine Milch.
Kleiner Bulle findet rasch eine Ersatzmama
Fridolin entwickelte sich prächtig – sogar laufen konnte er nach kurzer Zeit wie jedes andere Kalb. Dass seine Beine anfangs Schwierigkeiten machten, war bereits nach ein paar Tagen nicht mehr zu sehen.Adoption live: Der kleine Fridolin (vorn im Bild) schlüpfte einfach unter die Mutter seines gleichaltrigen Kumpels und bekam so seine Milch
© Screenshot / privat
Da geht noch mehr, dachte sich der Kleine wohl. Im Alter von wenigen Tagen stellte er sich frech unter das Euter einer anderen Kuh, die ebenfalls gerade Mutter geworden war. Sein Plan ging auf: Die Kuh adoptierte den kleinen Bullen und säugte fortan ihr Kälbchen und den kleinen Fridolin gleichzeitig. Die Flaschenfütterung war Geschichte.
Im Tierreich ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass Mütter fremde Jungtiere versorgen. Das Phänomen gibt es innerhalb derselben Tierart und sogar artübergreifend.
Dackel-Dame zieht Frischling groß
Von Katzenmüttern, die fremde Kitten säugen, gibt es viele Beispiele, wie etwa vor einiger Zeit in einem Münchner Tierheim: Dort wurde der verwaiste Nachwuchs einer überfahrenen Katze einfach einer anderen Katzenmutter untergeschoben. Sie versorgte die fremden Kitten zusammen mit ihren eigenen, ohne zu zögern.
Der Bayerische Rundfunk (BR) berichtete im vergangenen Jahr über zwei kleine elternlose Uhus aus Niederbayern. Diese wurden von Tierschützern einem Uhu-Paar in Oberbayern präsentiert. Auch diese Adoption klappte problemlos. Von ihren neuen Eltern lernten die Mini-Uhus dann alles, „was sie zum selbständigen Überleben in der Natur brauchen“, wie der BR berichtete.
Tiere adoptieren also Tiere ihrer eigenen Art – das ist offenbar nicht besonders spektakulär. Es geht aber auch skurril, wie die „SWR Landesschau Rheinland-Pfalz“ von einigen Jahren aus dem Greifvogelpark Saarburg berichtete: Dort brütete eine Uhu-Dame Hühnereier aus, bis die Küken schlüpften. Die besorgten Tierparkbetreiber brachten zunächst die Hühnerküken in Sicherheit – denn eigentlich fressen Uhus solche Tiere besonders gern. Doch die große stattliche Eule war so traurig, dass sie „ihre“ Kinder zurückbekam und sie fortan liebevoll versorgte.
Fälle von jungen Katzen, die von Hunden adoptiert wurden, sind ebenfalls bekannt. Und aus Niedersachsen berichtete vor einiger Zeit die Mediengruppe „Kreiszeitung“ über einen Frischling, der von einer Dackel-Dame versorgt wurde. Sie hegte so starke Muttergefühle für das kleine Wildschwein, dass sie scheinträchtig wurde und Milch bildete, mit denen sie ihr Adoptiv-Junges säugte, wie es in dem Bericht weiter hieß.
Tierische Adoptionen bleiben ein Rätsel
Unklar ist, warum Tiere so etwas tun. Einige Fälle von Adoptionen im Tierreich sollen auf Fehlprägungen zurückgehen – wie etwa bei der Uhu-Dame und den Hühnerküken aus dem Greifvogelpark Saarburg: Die Eule war offenbar so auf Menschen geprägt, dass die Fortpflanzung mit einem Uhu-Männchen nicht klappte, wie in dem SWR-Bericht vermutet wird. Muttergefühle hatte das Tier dennoch – für ihre ausgebrüteten Hühnerküken.
Welche Gefühle in unserem Hamburger Fall von der Kuhweide eine Rolle spielten, bleibt ebenfalls rätselhaft. Aber die Adoptivmutter versorgte das kleine Kalb, bis es selbständig Gras fressen konnte.
Inzwischen ist der Kleine von damals groß geworden. Er wurde kastriert und soll auf der Weide bleiben. Einen besseren Start ins Leben hätte der kleine Fridolin eigentlich nicht haben können.
Quellen: SWR Landesschau auf Youtube, BR24, „Kreiszeitung.de„, „München Heute“ auf Youtube, Deutschlandfunk Nova