
Vor fast zehn Jahren soll ein Mann in Afghanistan seinen Bruder getötet haben. Jetzt steht er in Hessen vor Gericht – weil Angehörige ihn nach einem Wiedersehen in Deutschland anzeigten.
Ein Brudermord, der sich vor knapp zehn Jahren in Afghanistan zugetragen haben soll, beschäftigt das Landgericht Hanau. Angeklagt ist ein heute 69 Jahre alter Afghane, der zuletzt in der hessischen Stadt wohnte und seit Januar in Untersuchungshaft sitzt. Zum Prozessauftakt wies der Mann den Tatvorwurf zurück.
Er habe seinen Bruder nicht erschossen und sei zur Tatzeit auch gar nicht in der afghanischen Stadt Kandahar gewesen, ließ er seinen Dolmetscher übersetzen. Tatsächliche habe er sich in Pakistan aufgehalten.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, 26. Oktober 2015 seinen Bruder in dessen Haus erschossen zu haben. Hintergrund soll ein Erbstreit über ein Grundstück gewesen sein. Die Anklage sieht in dem Fall die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe erfüllt. Tatzeuge soll der damals elfjährige Sohn des Opfers sein.
Kinder des Opfers zeigten Onkel an
Der Sohn und die Tochter des Getöteten, die wie weitere Familienangehörige mittlerweile ebenso in der Bundesrepublik leben, zeigten den Angeklagten nach Gerichtsangaben im vergangenen Jahr an, nachdem sie ihn in Deutschland getroffen hatten. Alle drei kamen zu verschiedenen Zeitpunkten als Flüchtlinge nach Deutschland. Die Kinder des Getöteten sind Nebenkläger und sollen auch als Zeugen aussagen.
Der Angeklagte erklärte, er habe sich nicht, wie von der Anklage behauptet, mit seinem Bruder um ein Grundstück gestritten. Diesen Streit habe er mit anderen Familienangehörigen gehabt, nicht aber mit dem Bruder. Er berichtete außerdem, dass er einmal von seinem Bruder und zwei weiteren Männer entführt worden sei. Sein Bruder sei drogensüchtig und in Drogengeschäfte verwickelt gewesen. Warum er entführt worden sei, wisse er nicht, sagte der Angeklagte.
„Stellvertretende Strafrechtspflege“
Der Prozess wird nach Justizangaben durch eine Ausnahmeregelung im Strafgesetzbuch möglich. Üblicherweise werden Vergehen und Verbrechen an den für die jeweiligen Tatorte zuständigen Gerichten angeklagt und verhandelt. Seit der Machtübernahme der Taliban sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan aber stark eingeschränkt. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich um „stellvertretende Strafrechtspflege“.