
Weil sie laut Statistik weniger Einwohner haben soll, zieht die Stadt Kassel nun vor Gericht. Auch andere hessische Städte beschreiten den Klageweg. Für die Kommunen geht es um viel Geld.
Im Streit um die Ergebnisse des Zensus 2022 zieht die Stadt Kassel gegen das Statistische Landesamt vor Gericht. Das haben die Stadtverordneten in einer Sondersitzung mit nur einer Gegenstimme beschlossen. Zuvor hatten bereits mehrere andere hessische Städte wie Hanau, Fulda, Rotenburg und Gießen entsprechende Klagen auf den Weg gebracht oder angekündigt, dies zu tun.
„Mit einer Klage der Stadt Kassel setzen wir ein weiteres Zeichen dafür, dass die kommunale Familie auf breiter Basis geschlossen in dieselbe Richtung läuft und nicht bereit ist, willkürliche Erhebungen einfach widerspruchslos hinzunehmen“, sagte Kassels Stadtkämmerer Matthias Nölke (FDP).
12 Millionen Euro weniger für Kassel
Hintergrund des Konflikts ist, dass das Hessische Statistische Landesamt aufgrund der beim bundesweiten Zensus (Volkszählung) 2022 in Hessen ermittelten Daten die amtlichen Einwohnerzahlen vieler Städte niedriger festgelegt hat, als das die Städte aufgrund ihrer eigenen Unterlagen ermittelt haben.
In Kassel etwa sollen laut der jüngsten Zensus-Erhebung im Vergleich zur bisherigen amtlichen Einwohnerzahl des Landesamtes rund 7.500 Menschen weniger wohnen. Im Vergleich zum Melderegister der Stadt Kassel betrage die Differenz sogar mehr als 10.000 Menschen, führte Nölke aus.
Kommunen bekommen eine gewisse Summe pro Einwohner aus dem Finanzausgleich. Kassel würde durch den Verlust der Einwohner in der Statistik laut einer fiktiven Modellrechnung des Hessischen Städtetags pro Jahr rund 12 Millionen Euro verlieren.
Vorwurf der Intransparenz
Insgesamt 41 hessische Kommunen hatten Widerspruch gegen die amtliche Feststellung ihrer Bevölkerungszahlen eingelegt. Das Landesamt wies diese allesamt zurück.
Die Kommunen bezweifeln, dass bei der Berechnung des jüngsten Zensus methodisch alles korrekt abgelaufen ist, und werfen dem Landesamt Intransparenz vor. Die Behörde weist die Vorwürfe zurück. Nach intensiver Prüfung hätten sich keinerlei Hinweise auf Fehler bei der Ermittlung der Bevölkerungszahlen ergeben, weder in der Erhebung noch in den Ergebnissen des Zensus 2022. Wiederholt erklärte das Landesamt, dass das im Zensus angewandte statistische Verfahren wissenschaftlich fundiert und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt sei.
Meldedefizite während der Corona-Pandemie
Die Abweichungen der Zahlen vom Zensus 2011 und der Folgezählung 2022 ergaben sich laut den Statistikern etwa durch den Einfluss von Fluchtbewegungen auf die melderechtliche Erfassung. Viele ausländische Einwohner meldeten sich bei der Rückkehr in die Heimat nicht ab. Auch könne es während der Corona-Pandemie Meldedefizite gegeben haben.
Nölke sagte: „Unsere kommunale Statistikstelle hat zahlreiche methodische und technische Mängel beim Zensusverfahren festgestellt.“ So seien unter anderem die Erhebungsunterlagen sprachlich unzureichend gewesen. „Gerade bei Menschen mit geringen Deutschkenntnissen scheiterte so die Teilnahme.“ Auch die genutzten Adresslisten seien veraltet gewesen und es habe Probleme bei der postalischen Zustellung der Fragebögen gegeben.
„Kurz gesagt: Die Annahme, dass man im Rahmen der Haushaltsstichprobe alle Haushalte erreichen konnte, ist eine realitätsferne Vorstellung.“ Die Folge sei eine massive Verzerrung und in der Konsequenz eine Unterschätzung der Einwohnerzahl Kassels gewesen. Es gehe um nicht Trickserei, sondern um ein faires, sachgerechtes Verfahren. „Ein Zensus, der über mehrere Jahre hinweg Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte hat, muss methodisch einwandfrei sein“, betonte Nölke.
Konflikt wird nun Verwaltungsgerichte beschäftigen
In dem Streit müssen nun die Verwaltungsgerichte entscheiden. Die Statistikbehörde hatte die Widerspruchsbescheide am 23. Juni an die hessischen Kommunen verschickt, die Widerspruch gegen ihren Bescheid eingelegt hatten. Nach Posteingang haben die Städte einen Monat Zeit, dagegen zu klagen. Diese Frist läuft bald ab.