
Seit Jahren bekommen immer mehr Schülerinnen und Schüler Einser-Noten in ihren Abiturprüfungen. Was dahintersteckt – und was Bildungsexperten sagen.
Fast 41 Prozent aller Thüringer Abiturienten holten 2024 ein Einser-Zeugnis. Die wenigsten Bestnoten hatte Schleswig-Holstein, aber auch dort waren es noch 23 Prozent. Ein Trend, der sich offenbar fortsetzt: Auch beim diesjährigen Abi-Jahrgang haben immer mehr eine Eins vor dem Komma im Zeugnis.
Der Deutsche Lehrerverband warnt vor einer Entwertung des Abiturs, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß sprach in der „Rheinischen Post“ vor einer „Noteninflation“, die gestoppt werden müsse.
Wie kann das sein, fragen sich viele Ältere: Sind gute Noten inflationär, wird der höchste Schulabschluss in Deutschland gar verschenkt?
Tatsächlich werden Kinder heute an vielen Schulen von Lehrkräften und Eltern gezielter gefördert. Viele Mütter und Väter wünschen sich: Mein Sohn, meine Tochter soll Abitur machen! Schließlich ist es das Ticket zum Erfolg, eröffnet Chancen auf ein Studium und einen lukrativen Job. Inzwischen gehen die meisten Kinder nach der Grundschule auf ein Gymnasium: Im vergangenen Schuljahr waren es 43,6 Prozent aller Mädchen und Jungen. Je nach Bundesland schwankt die Quote leicht. Dazu kam in den vergangenen Jahren offenbar ein Art „Corona-Bonus“, als Ausgleich für die Nachteile durch die monatelangen Schulschließungen.
Sinkt das Leistungsniveau beim Abitur?
Ob die Abitur-Standards sinken, lässt sich jedoch nicht so einfach beantworten. Bildungsforscher Olaf Köller vermutet, dass die Leistungen der Abiturienten in den vergangenen 20 Jahren gesunken sind. „Empirische Evidenz haben wir dafür nicht, da die Kultusministerkonferenz kein Bildungsmonitoring in der gymnasialen Oberstufe möchte“, sagt Köller, der als Co-Leiter der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission die KMK berät. Die Aufregung hält er allerdings für übertrieben – und folgenlos: „Solange die Besten des Jahrgangs eine Eins erhalten und die Schwächsten durchfallen oder irgendwo zwischen Drei und Vier liegen, ist es doch okay und die richtigen jungen Leute kriegen die Plätze in den zulassungsbeschränkten Studiengängen.“
Außerdem ist nicht nur die Zahl der Einser-Abiturienten gestiegen, sondern auch die Anzahl der Gescheiterten: 2024 bestanden knapp fünf Prozent aller Abiturienten die Prüfungen nicht.
Übersehen wird bei der Debatte, dass der Bildungserfolg in Deutschland stark vom Elternhaus abhängt und längst nicht alle ihr Potenzial entfalten können: Von hundert Kindern aus Akademiker-Familien gehen 78 an die Uni und beginnen ein Studium – von nicht-akademisch gebildeten Eltern tun das gerade mal 25.