
Der Gipfel in Anchorage war für Putin ein voller Erfolg, analysiert der Sicherheitsexperte Carlo Masala und sagt: Vor allem ein Satz war gefährlich. Was Europa jetzt tun muss.
Herr Professor Masala, für den russischen Präsidenten Wladimir Putin war der Alaska-Gipfel ein voller Erfolg, oder?
Ja, absolut. Es gibt keinen Waffenstillstand. Es gibt keine Verschärfung der Sanktionen. Beides hatte Trump als Ziel angekündigt. Hinzu kommt: Putin hat Trump auf amerikanischem Boden getroffen, zu einem bilateralen Gespräch. Damit ist er raus aus der Isolation durch den Westen, verhandelt jetzt wieder auf Augenhöhe mit den USA. Das alles zahlt auf Putin ein.
Gibt es irgendetwas, was man als Erfolg für Europa verbuchen könnte?
Der Erfolg aus europäischer Sicht ist, dass es keinen großen Deal über die Köpfe der Ukrainer hinweg gegeben hat, keine Aufhebung von Sanktionen, keine Ankündigung einer stärkeren ökonomischen Kooperation zwischen den USA und Russland.
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München und Autor des Buches „Wenn Russland gewinnt“.
© Jürgen Heinrich
Gab es eine Szene beim Alaska-Gipfel, die Ihnen besonders aufgefallen ist?
Ein klatschender US-Präsident, als Putin da auf diesem roten Teppich ihm entgegengekommen ist. Ich glaube, das war eine Übersprungshandlung von Trump. Aber für mich war es das irritierendste Bild von diesem Gipfel. Der gefährlichste Satz war einer von Trump bei der Pressekonferenz, dass die Dinge jetzt beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lägen. Auch das klingt eher danach, als ob Putin wenig Zugeständnisse machen musste.
Zurück bleibt der Eindruck, dass sich Trump von Putin weitgehend über den Tisch hat ziehen lassen. Obwohl ihn die Europäer vorher gewarnt und vorbereitet haben. Ist Trump Putin schlicht nicht gewachsen?
So weit würde ich nicht gehen. Hätte sich Trump über den Tisch ziehen lassen, gäbe es jetzt einen Deal, der die russischen Forderungen beinhalten würde. Das hätte Trump dann aber auch gleich verkündet. Ein weiterer Hinweis, dass es nicht ganz so rund für Putin gelaufen ist, ist der vorzeitige Abbruch des Treffens. Eigentlich sollte nach der ersten Runde nochmal ein Gespräch in größerer Runde über das Mittagessen stattfinden, bei dem es um wirtschaftliche Kooperation gehen sollte. Zum Beispiel, dass man wieder Direktflüge zwischen Russland und den USA einrichtet. Das fand aber nicht mehr statt. Bei einem fein durchgeplanten Gipfel ist so eine Programmänderung eher ungewöhnlich. Für mich ist das ein Zeichen, dass die amerikanische Seite nicht ganz so zufrieden mit dem Verlauf war.
Einem Medienbericht zufolge soll Trump Selenskyj in einem Telefonat nach dem Gipfel gesagt haben, ein schneller Friedensschluss sie besser als ein Waffenstillstand.
Wenn die Berichterstattung von Axios stimmt, wäre Trump mal wieder umgefallen und hätte sich der russischen Position angeschlossen. Dann wären wir wieder dort, wo wir im Februar schon mal waren. Trump würde wieder im Team Putin spielen. Das hieße auch, dass Trump die Perspektive Putins einnimmt, dass man sich über die Rückabwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur auf den Stand von 1997 unterhalten sollte.
Vereinbart wurde ein weiteres Treffen zwischen Trump und Putin. Eventuell sogar in Moskau.
Dass das in Moskau stattfinden könnte, hat Putin bei der Pressekonferenz gesagt. Trump schien eher überrascht. Aber der Plan von Putin ist ganz klar, Trump in eine Serie von bilateralen russisch-amerikanischen Beziehungen reinzuziehen, bei denen man dann über eine Ausweitung und Normalisierung der Kooperation reden kann. So vermeidet er, dass über Sanktionen verhandelt wird oder er sich am Ende sogar mit Selenskyj treffen muss. Das wäre für Putin das Schlimmste, weil er damit faktisch Selenskyj als legitimen Gesprächspartner anerkennen müsste. Die ganze russische Propagandanummer von wegen, Selenskyj sei ein Nazi, dessen Mandat ausgelaufen sei, wäre dann perdu.
Was sollte Europa jetzt tun?
Europa könnte jetzt das tun, was Europa die ganze Zeit hätte tun müssen: aufhören, wie ein Kaninchen auf diese Schlange der amerikanisch-russischen Kooperation zu gucken, mit der Sorge, dass diese etwas über die Köpfe der Ukraine und der Europäer hinweg beschließen könnte. Endlich eine eigene Strategie mit Blick auf die Ukraine entwickeln. Und dann kann man immer noch versuchen, auf Trump einzuwirken.
Aber hat Bundeskanzler Friedrich Merz nicht genau das getan, als er vor dem Alaska-Gipfel Selenskyj nach Berlin einlud und die europäischen Partner per Video dazuschalten ließ?
Das Treffen in Berlin zeigt die Möglichkeit, die Europa hat und gleichzeitig sein Problem. Diplomatisch war es wirklich eine Meisterleistung von Merz, dass er dieses Treffen so schnell hinbekommen hat. Und Trump auch noch dazu bekommen hat, den Europäern zuzuhören. Das Problem ist, dass wir immer wieder von Trump überrascht werden. Und dann versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Wir gucken immer auf die USA, auf Trump, und hoffen, dass er in der Spur bleibt. Und wenn er da nicht bleibt, versuchen wir, ihn wieder in die Spur zu bringen. Das ist ja keine eigene Strategie.
Wie könnte eine eigene Strategie aussehen?
Zunächst einmal muss die Frage von Waffenlieferungen geklärt werden, und dann müssten man die entsprechenden Mittel auch zur Verfügung stellen. Der zweite Punkt wäre, die bereits verhängten Sanktionen konsequent durchzusetzen. Dazu zählt auch die Frage, wie man mit dem eingefrorenen russischen Vermögen umgeht. Wir hocken auf 300 Milliarden Euro und sind uns bis heute nicht einig, ob man die jetzt der Ukraine zur Verfügung stellen soll oder nicht. Dabei würde dieses Geld der Ukraine ganz neue Möglichkeiten auf dem internationalen Markt geben. Und dann sollten wir über Sekundärsanktionen nachdenken …
Also Sanktionen gegen Länder, mit denen Russland Handel betreibt?
Ja. Ein großer Teil der Wirtschaft Europas ist raus aus dem russischen Markt. Aber schauen Sie sich doch mal an, wie die Exporte nach Kasachstan in den letzten zwei Jahren explodiert sind. Entweder hat jede kasachische Familie sechs Computer und vier Autos oder das Zeug wird über Kasachstan nach Russland geliefert. Auch die Schiffe von Putins Schattenflotte werden von Europa noch nicht konsequent aufgebracht. Und man sollte darüber nachdenken, ob man bei Ländern, die diesen Schiffen zur Tarnung ihre Flagge zur Verfügung stellen, nicht die Entwicklungshilfe zurückfährt. Das sind alles so Lücken.
Friedrich Merz regiert seit etwas mehr als 100 Tagen. Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz seiner Ukraine-Politik?
Merz hat den richtigen Kompass, mit Blick auf die Ukraine. Gleichzeitig hat er die Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage zur führenden Macht in Europa gemacht, indem er alle zusammengebracht hat. Er hat hier wirklich Führung übernommen. Ein bisschen schwach auf der Brust ist er bei der Frage der Waffenlieferungen. Da müsste er endlich mal eine Entscheidung treffen. Und damit meine ich nicht den Taurus.