
Buslinie, Kita-Essen, Wohnraum: Kommunalpolitik betrifft die Menschen direkt. Was versprechen Parteien vor den Kommunalwahlen? Online-Wahlhilfen bieten Orientierung – und sollen Interesse wecken.
Mehr Wohnraum, kostenfreies Essen in Kitas und Schulen, Ausbau der Radwege oder auch der Kampf gegen Gänse auf Grünflächen: Kommunalpolitik wirkt sich direkt auf den Alltag von Millionen Menschen aus. Dennoch wird die Bedeutung von Kommunalwahlen oft im Vergleich zu Landtags- oder Bundestagswahlen unterschätzt.
Mit lokalen digitalen Wahlhilfen sollen vor allem junge Menschen für die Politik an ihren Wohnorten begeistert werden und unentschlossene Wählerinnen und Wähler Entscheidungshilfen bekommen. Nach dem Vorbild des seit Jahren erfolgreichen bundesweiten „Wahl-O-Mat“ haben Universitäten und Städte für die Kommunalwahl am 14. September für ausgewählte Kommunen lokale Online-Wahlhilfen entwickelt.
Bei den Kommunalwahlen in NRW dürfen junge Menschen schon ab 16 wählen. Daher wurden die Online-Wahlhilfen auch besonders auf sie zugeschnitten.
„Lokal-o-mat“
Für zehn ausgewählte Städte ging am Mittwoch der „Lokal-o-mat“ an den Start, den die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Landeszentrale für politische Bildung zusammen entwickelt haben. Beteiligt sind Münster, Coesfeld, Gütersloh, Witten, Duisburg, Krefeld, Düsseldorf, Haan, Köln und Aachen. Bei der Auswahl wurden politische, demografische und geografische Faktoren berücksichtigt.
Mit den lokalen Wahlhilfen könnten 2,5 Millionen Wahlberechtigte erreicht werden, sagte Politikprofessor Stefan Marschall von der Uni Düsseldorf, unter dessen Federführung zusammen mit rund 50 jungen Menschen entwickelt wurde. Mehr als 100 Parteien und Bündnisse haben ihre Positionen in mehr als 4.000 Antworten zur Verfügung gestellt.
Wähler können beim „Lokal-o-mat“ jeweils 30 kommunalpolitischen Thesen pro Stadt zustimmen, sie ablehnen, sich neutral positionieren, sie überspringen oder besonders gewichten. Ein Prozentwert gibt abschließend die Übereinstimmung mit den jeweiligen Parteien an. „Dieses Tool ist kein Ausstieg aus der Beschäftigung mit der Politik, sondern ein Einstieg. Es nimmt mir nicht die Entscheidung ab, wen ich wählen sollte“, sagt Marschall.
„Kommunalwahl-Navi“
Auch die NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen und die Universität Münster haben für acht Großstädte eine digitale Wahlhilfe freigeschaltet.
Wählern in Duisburg, Essen, Oberhausen, Bochum, Köln, Münster, Bielefeld und Paderborn soll das „Kommunalwahl-Navi“ helfen, die eigene Haltung mit den Positionen der Parteien abzugleichen. Dabei sollen die Menschen die Positionen der Parteien in der jeweiligen Stadt verstehen und vergleichen können, ohne sich mühsam durch Programme und Politiksprache arbeiten zu müssen.
Die jeweils 35 Thesen für die einzelnen Städte haben Wissenschaftler mit rund 60 Studierenden entwickelt und an alle Parteien, Wählerbündnisse und Bürgerlisten in den genannten Städten geschickt. Neben übergreifenden Themen wie Bildung, Verkehr oder Wohnen seien auch lokalspezifische Fragen erarbeitet worden, etwa zu Radwegen, Videoüberwachung oder kommunalen Finanzen.
„Düssel-O-Mat“
Der „Düssel-O-Mat“ soll vor allem jungen Menschen Orientierung bieten und wurde mit dem Jugendring Düsseldorf entwickelt. Nutzer beantworten 30 kommunalpolitische Thesen mit „Volle Zustimmung“, „Neutral“ oder „Keine Zustimmung“. Die Thesen können auch übersprungen werden und fließen dann nicht in das spätere Ergebnis ein.
Zu den Fragen gehört neben der Videoüberwachung der Altstadt etwa auch der geplante Neubau der Düsseldorfer Oper.
Lokale Wahlhilfen in anderen Städten
Für die Bonner Wahlhilfe „Bonn-o-mat“ haben 13 Parteien 30 Thesen beantwortet. Es geht etwa um kostenfreie Schwimmkurse, die Errichtung einer zusätzlichen Gesamtschule oder eine Seilbahn zum Venusberg. Der „Bonn-o-mat“ wird vom Verein „Offene Kommunen.NRW Institut“ und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen unterstützt.
In Dortmund gibt es den „Wahl Buddy“ mit 25 Thesen zu den Themen junger Menschen. In Solingen können Wähler ihre Positionen zu 20 Thesen abstecken.
Die Uni Düsseldorf stellt auf ihrer „Lokal-o-mat“-Seite zudem eine Anleitung zur Verfügung, wie auch andere Kommunen eigene Online-Wahlhilfen bauen können.
Bringen Wahl-Navis überhaupt etwas?
„Die Forschung zeigt: Wer eine Wahlhilfe nutzt, wählt informierter – und überhaupt: geht eher wählen“, sagt Julia Schwanholz von der Uni Duisburg-Essen. „Ob Buslinie, Parkbank oder Bolzplatz – viele politische Entscheidungen betreffen direkt unser Wohnviertel. Wer glaubt, dass Politik nur in Berlin oder Brüssel gemacht wird, liegt falsch. Kommunalpolitik gestaltet unser direktes Lebensumfeld.“
Etwas skeptischer sieht es Guido Hitze, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung NRW. Der „Lokal-o-mat“ werde die Wahlbeteiligung „nicht in astronomische Höhe treiben“, aber er könne einen Beitrag zur Steigerung leisten.
Wahlen auf lokaler Ebene würden oft weniger wahrgenommen als etwa eine Bundestags- oder Landtagswahl, so Hitze. So habe die Wahlbeteiligung bei der NRW-Kommunalwahl 2020 nur bei 51,9 Prozent und bei der Landtagswahl 2022 bei 55,5 Prozent gelegen, während bei der Bundestagswahl in diesem Frühjahr mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten in NRW ihre Stimmen abgaben. „Diesen Gap müssen wir schließen“, fordert Hitze.
Zu wenig junge Menschen gehen zur Wahl
Besonders bedenklich: Bei der Landtagswahl 2022 gaben laut Statistischem Landesamt nur 40,7 Prozent der jungen Wähler im Alter von 18 bis 20 Jahren ihre Stimme ab.
Den Menschen müsse erklärt werden, warum es besonders wichtig sei, sich auch in der Kommune für Politik zu interessieren und zu beteiligen, „weil da die Entscheidungen getroffen werden, die unmittelbar das eigene Leben betreffen“, sagte Hitze. Nur wenige hätten aber Lust, sich durch sämtliche Wahlprogramme aller antretenden Parteien zu arbeiten.
Hitze schränkt aber auch ein: „Der Lokal-o-mat ist nicht das entscheidende Format, eine abgewogene und vollständig reflektierte Wahlentscheidung zu treffen.“ Aber die Wahlhilfe er erkläre ein Stück weit die Bedeutung von Kommunalpolitik. „Demokratie beginnt nicht bei der Bundestagswahl, sondern viel früher und niedrigschwelliger.“