
Unser Kolumnist Micky Beisenherz will sich faul wie ein Braunbär in der Sonne fläzen, doch ständig stören Breaking News seinen Urlaub.
Früher war mehr Wolfgangsee. Die Ferien begannen, der Bundestag ging in die Sommerpause und mit ihm die gesamte Welt. Alle waren im Urlaub, und wenn niemand ein Ereignis aufschreibt – ist es dann überhaupt geschehen? Wenn Papa sich im Urlaubsort mal eine Zeitung gekauft hatte, dann war sie mindestens drei Tage alt. Für so viel Gestriges, da waren sich Leser und Redakteure stillschweigend einig, muss niemand groß die Maschinen anwerfen.
Es war die Zeit der Geschichten, die entweder auf Halde lagen oder so banal waren, dass man sie bequem wegsenden konnte. Der gütige Familienmensch Helmut Kohl wurde mit der Familie am Wolfgangsee ausgestellt, die Söhne Walter und Peter im Schwitzkasten der Kamera eingefangen. Jetzt seid mal schön harmonisch, verfickte Scheiße, das Fernsehen ist da.
Und da, wo Kohl nicht war, musste ein kapitaler Wels den See in Atem halten. Oder ein entfleuchter Kaiman. Es war die Zeit der Sommerlochtiere, die sich auch deshalb so frei bewegen konnten, weil ihnen echte News nicht ihren Lebensraum nahmen. Kaiman Sammy, Problembär Bruno und der Keiler von Neubrandenburg, der sich in bestem identitätspolitischem Spirit als Löwe gelesen wusste. Das alles ist vorbei. Wie ein Fenster zur Gelassenheit wird das Sommerloch immer kleiner.
Breaking News kennen keine Auszeit
Es geschieht einfach zu viel. Und noch mehr schreiben es auf. Und noch viel, viel mehr lesen es. Es ist Putin, Netanjahu und Trump herzlich egal, ob der Bundestag in den Ferien ist. Deshalb fliegt nicht eine Drohne weniger. Und von der gottgleichen amerikanischen Zollstrafe wird nicht ein Prozent weniger verhängt. Um in diesem Konkurrenzfeld mithalten zu können, müsste der Kaiman schon spontan deutsche Klassiker auf südkoreanisch singen und dabei jonglieren.
Waren die Sommer 1963, 1985 oder 1992 wirklich ruhiger? War die Welt womöglich besser? Vermutlich nicht. Aber heute werden wir einfach deutlich besser darüber informiert, wie schlecht sie schon immer war. Zudem haben wir es mit dem pandemischen Charakter dauerhafter Belästigung von Pushmitteilungen zu tun, die den arglosen User dauerhaft an der Nadel mehr oder minder wichtiger News halten sollen. Breaking Noise auf dem Smartphone.
Micky Beisenherz verkürzt seinen Sommerurlaub
Auch sachlich betrachtet spricht wenig dafür, sich faul wie ein Braunbär im Trentino in der Sonne zu fläzen. Die Situation in Gaza bleibt von erschütternderer Dringlichkeit, 20 israelische Geiseln sind nach wie vor in den Tunneln der widerlichen Hamas gefangen, der Krieg Russlands gegen die Ukraine fordert täglich neue Opfer, und die aufrichtigen Reformideen von Kanzler Merz passen auch nicht so recht zu einer „Das hamwa immer so gemacht“ Sommerpause des Kabinetts.
Für mich als jemand, der neben dem lustvollen Kolumnieren einen erfolgreichen Newspodcast betreibt, bedeutet das leider auch: Der Urlaub wird verkürzt. Die Sommerpause macht Pause. Das hat sich Merz vermutlich auch gedacht, als er Richtung Tegernsee aufbrach, um mal auszuspannen und mit dem Kulturstaatsminister die Speisekarten lokaler Gastronomien zu entgendern – und er sich stattdessen im Regierungsflieger gen Washington, D.C. wiederfand, um die Hanftolle im Oval Office zurück auf Linie zu schleimen. Nein, dieser Sommer taugt nicht zum Ausspannen. Pausieren können wir noch, wenn wir tot sind. Und hey, so wie die Dinge manchmal erscheinen, dauert das womöglich gar nicht mehr so lange. Ab zum Badesee, Kaimane gucken.