
Netanjahu lässt sich nicht auf die Waffenruhe ein, Arbeitgeber bringen sich in Stellung, Jimi Blue Ochsenknecht vor Gericht und ganz großes deutsches Kino. Das ist heute wichtig.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Krieg ist ein chaotischer Prozess. Im Fall von Israels Offensive im Gazastreifen ist die Lage dieser Tage besonders undurchsichtig. Benjamin Netanjahu, israelischer Ministerpräsident, lässt sich, wie so oft, nicht in die Karten blicken. Bereits vor einigen Tagen hat die Hamas nach eigenen Angaben einem Vorschlag der Vermittler Ägypten und Katar für eine Waffenruhe im Gazastreifen zugestimmt. Der derzeitige Vorschlag sieht eine 60-tägige Feuerpause vor, während der zehn lebende israelische Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge freikommen. Insgesamt befinden sich in Gaza noch 50 Geiseln, mindestens 20 von ihnen sollen noch am Leben sein.
Mehreren Medienberichten zufolge handelt es sich um eine angepasste Fassung eines zuvor bereits verhandelten Vorschlags des US-Sondergesandten Steve Witkoff. Noch vor einigen Wochen zeigte sich Israel durchaus aufgeschlossen. Nun äußerte sich Netanjahu dazu lange nicht, am Donnerstag aber sprach er davon, unverzüglich Verhandlungen über die Freilassung aller Geiseln aufnehmen zu wollen. Die Angehörigen der Geiseln fänden das falsch, sie drängen darauf, den Deal anzunehmen. Es sei ein Schritt auf dem Weg zu einer noch umfassenderen Vereinbarung, sagte etwa Dalia Cusnir, die Schwägerin einer der noch festgehaltenen Geiseln.
Waffenruhe liegt auf dem Tisch – was will Netanjahu?
Netanjahu aber treibt währenddessen nicht nur den Siedlungsbau im Westjordanland voran, sondern offenbar auch die Einnahme von Gaza-Stadt. Doch auch hier ist die Lage unklar: Mehrmals in dieser Woche wurde berichtet, dass Pläne dazu auf unterschiedlichen politischen Ebenen „genehmigt“ worden seien. Läuft die Offensive also, oder dient die Ankündigung als ein Manöver, um den Druck auf die Hamas weiter zu erhöhen? Es dürfte auch unter diesem Eindruck gewesen sein, dass die Hamas dem Vermittlungsangebot überhaupt erst zugestimmt hat.
Zwar gibt es zunehmenden Druck aus der israelischen Bevölkerung für ein Ende des Krieges – doch steht für Netanjahu zu befürchten, dass seine Koalition mit seinen teils rechtsextremen Regierungspartnern bricht, wenn er einem Deal zustimmt, den Krieg nicht weitertreibt. Immer wieder haben ihn auch diese Motive in der Vergangenheit dazu angetrieben, den Gaza-Krieg zu verlängern, das hat eine Recherche der „New York Times“ erst kürzlich gezeigt.
Mit einer Einnahme von Gaza-Stadt dürfte sich Netanjahu international weiter isolieren. Denn bei allen Unsicherheiten zu seinen Motiven ist eines sicher: Die desaströse Lage der Menschen im Gazastreifen ist nicht weiter zu ertragen – eine Einnahme von Gaza-Stadt würde die Situation sogar noch verschlimmern, wenn das überhaupt vorstellbar ist. Das Rote Kreuz und das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten warnen eindrücklich davor.
Christoph Heusgen, ehemaliger Sicherheitsberater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und früherer Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat nun davor gewarnt, Israel könne sich zu einem „Apartheidstaat“ entwickeln. „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson, aber zur israelischen Sicherheit gehört auch, dass sich das Land nicht durch den exzessiven Einsatz militärischer Gewalt und den Bruch des Völkerrechts weltweit Feinde macht und isoliert“, schreibt Heusgen in einem „RND“-Gastbeitrag.
Er fordert Deutschland dazu auf, jetzt einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Wenn es auf dem Verhandlungsweg gar nicht weiter gehe, sagt Heusgen, sei ein Instrument der Diplomatie, symbolische Zeichen zu setzen.
Sparen bei den Sozialabgaben: Arbeitgeber bringen sich in Stellung
Ende August ist es nun und es zeichnet sich ab, was das große Thema des Herbstes wird. Es ist die Frage danach, wie wir die Finanzen in unseren sozialen Sicherungssystemen stabilisieren: in der Kranken- und Pflegeversicherung, der Rente, der Arbeitslosenversicherung. Was wir dabei als Gesellschaft in den Fragen zu akzeptieren bereit sind – und was nicht.
Auch die Arbeitgeber werden das Thema offensiv bespielen. In einem neuen Bericht hat sich das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln gestern dafür ausgesprochen, die Lohnfortzahlung für die ersten Krankheitstage auszusetzen. Bislang gilt: Fehlt ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt, bezahlt der Arbeitgeber sechs Wochen lang das Gehalt weiter, im Anschluss bezahlt die Krankenkasse das Krankengeld.
Der Vorstoß kommt nur einen Tag, nachdem die Arbeitgeber eine sogenannte „Kontaktgebühr“ für jeden Arztbesuch forderten. Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, beklagt unnötige Arztbesuche, spricht von einem „Ärzte-Hopping“ – und will deshalb, dass Patienten für jeden Arztbesuch Geld bezahlen müssen. Eine Art Eintrittsgeld für den Arzt. Ärztevertreter, Patientenschützer und Sozialverbände zeigten sich empört.
In der Tat müsste man sicherstellen, dass es am Ende nicht die mit weniger Einkünften vom Arztbesuch abhält. Und es bräuchte Ausnahmen für chronisch Kranke, die häufiger zum Arzt müssen. Wenn man Deutschland da richtig einschätzt, entstünde wohl ein Bürokratiemonstrum.
Es braucht schlauere Ansätze, um unnötige Arztbesuche zu reduzieren (und letztere gibt es wohl, jedenfalls gehen in Deutschland die Menschen häufiger zum Arzt als in vielen anderen Ländern). Die Koalition diskutiert deshalb ein sogenanntes Primärarztsystem: Mit diesem könnten die Patienten nicht mehr einfach so Fachärzte aufsuchen, sondern nur dann, wenn ihr Hausarzt das als sinnvoll erachtet.
Wie reumütig Jimi Blue Ochsenknecht wirklich ist
Schwerer Betrug wird Jimi Blue Ochsenknecht vorgeworfen: Nach einem Partyurlaub in Österreich hat der 33-Jährige, bekannt geworden als Schauspieler in „Die Wilden Kerle“, heute vor allem deutscher Reality-Star, mehrere Jahre lang eine Rechnung von knapp 14.000 Euro nicht beglichen.
Ende Juni wurde er bei der Einreise am Hamburger Flughafen deshalb festgenommen, es gab einen europäischen Haftbefehl gegen ihn. Damals sprach er noch von einem „großen Missverständnis“, und in einer Instagram-Story außerdem von Kakerlaken, die aus ihren Löchern kämen – wovon sich der geprellte Tiroler Wirt Wilhelm Steindl angesprochen fühlte, der Ochsenknecht nach mehrmaligen Kontaktversuchen angezeigt hatte. So ist es im Text von Moritz Hackl und Veronika Völlinger nachzulesen, die den Wirt in seinem Hotel besuchten.
Nach einer rund dreiwöchigen Untersuchungshaft in Hamburg und einer Tour im Gefangenentransport nach Österreich klingt Ochsenknecht etwas anders: „Macht keine Kacke, Leute, bezahlt eure Rechnungen, egal, wie trotzig ihr in dem Moment seid!“, sagte er zu seinen Followern auf Twitch.
Wie reumütig ist der 33-Jährige nun wirklich? Der Prozess heute dürfte es zeigen. Für die Verhandlungen, die um 9.30 Uhr im Landgericht Innsbruck beginnen, ist nur eine Stunde angesetzt. Für schweren Betrug, der Ochsenknecht vorgeworfen wird, droht in Österreich eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
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