Meinung: Warum das falsche Buch gewonnen hat

  • Oktober 13, 2025

Der Deutsche Buchpreis 2025 geht an Dorothee Elmiger für ihren Roman „Die Holländerinnen“. Die falsche Wahl, findet unser Autor – und verrät, welcher Autor sein Favorit war.

Ein Journalist sollte nicht Partei ergreifen, und doch habe ich beim diesjährigen Deutschen Buchpreis dem Autor Thomas Melle die Daumen gedrückt. Ich hatte ihn zum stern-Gespräch getroffen, im Sommer, vor dem Erscheinen seines ungeheuren Romans „Haus zur Sonne“, der Geschichte eines Mannes, der keine Kraft zum Leben mehr findet und in jenem Haus zu Sonne eincheckt, das man, so die Regeln, lebendig nicht mehr verlässt. 

Melle gab zu, dass er sehr viele von den Leiden, die er im Buch beschreibt, selbst durchlebt habe, ja, immer noch durchlebe. Er hat durch das Schreiben einen Teil seiner Lebenskraft wiedergefunden. Sein Roman berührt beim Leser das Innerste. Ein literarisches Großereignis. 

Melle stand neben fünf anderen Autorinnen und Autoren auf der sogenannten Short List des Buchpreises. Gewonnen hat ihn nun Dorothee Elmiger für ihren Roman „Die Holländerinnen“, ein schmales Buch von 160 Seiten, nach dessen Lektüre mich das Gefühl überkam, 660 Seiten gelesen zu haben. Der Buchpreis soll zum einen die Literatur auszeichnen, von daher ist Elmiger eine würdige Gewinnerin. Ihr Roman ist geradezu hochliterarisch.

Es geht, kurz gesagt, um ein Theaterprojekt im Urwald Südamerikas, in dem Vorgebildete die Schwärze von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ wiedererkennen sowie den Wahnsinn von Werner Herzogs Film „Aguirre – der Zorn Gottes“. Die zwei titelgebenden Holländerinnen sind dort verschwunden, von ihnen blieb nur ein Rucksack; offenbar hat der Wald sie verschluckt. Klingt erst mal gar nicht schlecht, oder? 

Deutscher Buchpreis: Der Gewinner-Roman weckt keine Lust aufs Lesen

Der Buchpreis soll auch das Lesen fördern, soll Lust auf Bücher wecken. Melles Buchs belohnt das Lesen mit tiefen und erschreckenden Einblicken in eine Krankheit, wie es sie in dieser Ausprägung nur selten gibt. Auch andere Titel der Short List öffnen Welten, die wir selten betreten: „Die Ausweichschule“ von Kaleb Erdmann nimmt uns mit in den Amoklauf an der Gutenbergschule in Erfurt, 2002, erzählt, welche Wunden sie bei einem Schüler hinterlassen hat, der damals die fünfte Klasse besuchte und das tödliche Geschehen aus der Halbdistanz erlebte. 

Das Buch mit dem sehr kurzen Titel „ë“ der Autorin Jehona Kicaj fügt auf kluge und erschütternde Weise die Geschehnisse und Folgen des Kosovo-Kriegs zusammen, erkundet still in die körperlichen und mentalen Spätfolgen eines brutalen Konflikts, der weit weg schien, der aber immer wieder aufbricht, selbst in unserer Gesellschaft. Auch Erdmann und Kicaj schreiben hochliterarisch. Sie hätten viele Leserinnen und Leser verdient. 

„Die Holländerinnen“ aber werden in die Liste der abgebrochenen Bücher eingehen. Der Roman ist nahezu vollständig in der indirekten Rede verfasst. Ein schönes Experiment, das sich liest wie ein sehr langes Rumgrübeln – der innere Monolog einer irgendwie Unentschlossenen. Der Roman ist gespickt mit intertextuellen Verweisen, etwa auf Adorno; die Erzählerin zitiert Bücher, die selbst antiquarisch nur schwer aufzutreiben sind. Wer einmal eine Platte gehört hat, die nur aus Samples zusammengesetzt ist, Zitaten und Fundstücken also, weiß, wie wenig groovy diese Neunmalklugheit klingt. 

Die Sprache in „Die Holländerinnen“ ist von kühler Klarheit, der Intellekt fühlt sich geschmeichelt, auch die innere Schwärze des Werks beeindruckt. Es gibt viele Preise, die dieses Buch verdient hätte. Der Buchpreis aber sollte Türen aufstoßen. In den gepeinigten Kopf des Helden von „Haus zur Sonne“ etwa. Der Roman „Die Holländerinnen“ aber wirkt abweisend, ein klassischer Brainfuck. Glückwunsch an die Autorin Dorothee Elmiger, dass sie damit gewonnen hat. 

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