Meinung: Was hat euch bloß so ruiniert? Wie meine große Festival-Liebe stirbt

  • Juni 7, 2025

Am Wochenende läuten Rock am Ring und Rock im Park die Festival-Saison ein. Unser Autor fieberte den Zwillingen immer entgegen. Doch heute hat er Angst vor der Instagram-Hölle.

Zum ersten Mal in die Eifel fuhr ich 2013. Rock am Ring – es konnte, es dufte kein anderes Festival sein. Der Mythos, die Größe, der Nürburgring: Kopfsprung in den Festivalrausch, ich war sofort süchtig. Wer schon mal an einem Mittwochmorgen auf den hügeligen Campingplätzen des Rings angekommen ist, wird wissen, was ich meine. 

Das noch taunasse Gras unter den Füßen, wummernder Bass aus der Ferne, die ersten Grillschwaden, die über die bereits errichtete und immer weiter wachsende Zeltstadt ziehen. Und die Sonne, die langsam und königlich aufzieht. Ab diesem Moment war alles egal, alles erlaubt, Urlaub fürs Gehirn. Dosenbier um 7.30 Uhr? Kein Problem! Drei Tage nicht duschen? Wozu denn auch! Mit wildfremden Menschen für ein Konzert beste Freunde werden? Gerne doch! 

Festivals waren früher der perfekte Urlaub für’s Gehirn

Festivals waren für mich über Jahre eine Mischung aus Urlaub und Heimkehr. Doch in den vergangenen Jahren hat sich das geändert. Dass ich mich morgens mit Rückenschmerzen von meiner Luftmatratze quäle – geschenkt. Auch, dass ich nicht mehr aus dem Stand eine absurd hohe Menge an Hopfen-Kaltschalen runterspülen kann – fair. Das Alter geht an uns allen nicht vorbei. Doch irgendwie ist das Gefühl geblieben, dass die Festivals heute zu glatt sind, zu geschliffen, zu sauber auch.

Wo früher einfache Wiesen waren, auf denen mit viel Glück ein Bierwagen stand, befindet sich heute ein „Foodcourt“, der schon morgens Quinoa-Smoothies und ballaststoffreiche Müslis anbietet. Spießertum im Papierbecher. Vorbei sind die Zeiten von Dosenravioli zum Frühstück. Die Gruppendusche ist einem „Shower-Wonderland“ gewichen, inklusive kostenloser Hautpflegeprodukte, „Chill Out-Lounge“ und seichter Hintergrundmusik. Im Wasser sieht einen wenigstens niemand weinen. Denn es ist, genau: ein Trauerspiel. 

Ich weiß, das alles klingt sehr nach „Opa erzählt vom Krieg“. Natürlich war vor zehn Jahren nicht alles besser. Stundenlang kiloschwere Umzugskartons mit Lebensmitteln und Getränken zu schleppen – kann nur jemand toll finden, der entweder masochistische Züge hat oder gerade das nächste Level seiner „Fitness-Journey“ erreicht. Auch ich gehe heute lieber zum Supermarkt auf dem Campinggelände, um frisch einzukaufen. Doch mit dem zunehmenden Luxus rund um die Festivals haben auch Oberflächlichkeit und Vorsicht Einzug gehalten. 

Luxus macht Festivals wie Rock am Ring zu einer seelenlosen Instagram-Hölle

Bloß nicht zu sehr daneben benehmen, bloß nicht in den letzten Schlabber-Klamotten herumlaufen, könnte ja alles in einer Instagram-Story landen. Statt Staub hat man plötzlich Glitzer im Gesicht. Die Outfits beschränken sich nicht mehr auf alte Bandshirts und Jogginghose, sondern werden vorher sorgsam aus dem Kleiderschrank kuratiert, um auf dem obligatorischen Foto vor dem Riesenrad ein bisschen nach „Coachella“ auszusehen.

Das letzte bisschen Anarchie der Festivals stirbt und mit ihm meine Begeisterung. Ob das nun daran liegt, dass eine neue Generation von Besuchern genau das will oder ob Veranstalter diese Leute anziehen, eben weil sie ihnen Annehmlichkeiten feilbieten, ist die Frage nach Huhn oder Ei. Ich weiß nur: Immer mehr Luxus wird Festivals wie Rock am Ring von einem herrlich chaotischen Sehnsuchtsort zu einer seelenlosen Instagram-Hölle machen, in der sich alle nur noch darum kümmern, ob sie edgy genug für das perfekte Foto posieren. 

Und ich werde daneben stehen und mein Zuhause nicht mehr wiedererkennen. Mit einem Dosenbier in der Hand. Um 7.30 Uhr morgens. Vielleicht zum letzten Mal.

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Juni 2024.

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