
Rote Karten, auf den Rängen aber ein 12. Mann für die Boca Juniors. Der FC Bayern ist mehr als gewarnt. Die Argentinier haben Miami erobert, gegen München geht’s aber schon um alles.
Nun wissen die Bayern endgültig, was im nächsten Spiel der Club-Weltmeisterschaft auf sie zukommt. Diego Maradonas Erben im blau-gelben Kultdress der Boca Juniors haben einen wilden ersten Auftritt hingelegt: Eine schnelle Zwei-Tore-Führung, knallharte Zweikämpfe, Wutausbrüche, Rote Karten und die brachial-euphorische Unterstützung Zehntausender Fans.
„Boca spielte mit 12 in Miami: vom unkontrollierten Wahnsinn eines (zwischenzeitigen) 2:0, mit dem niemand gerechnet hatte, bis zum ‚jetzt müssen wir gegen Bayern spielen'“, schrieb die Zeitung „Clarín“. „Wie die Bombonera, nur auf der anderen Seite des Kontinents“, meinte das Sportblatt „Olé“ in Anspielung auf das legendäre Stadion im Stadtteil Boca von Buenos Aires.
2:2 hieß es am Ende gegen Benfica Lissabon zum Boca-Auftakt bei der Club-WM in den USA. Dass ausgerechnet zwei Weltmeister der Albiceleste, Ángel di María per Elfmeter und Nicolas Otamendi, die Treffer für den portugiesischen Traditionsclub erzielten, passte in den argentinischen Abend im Hard Rock Stadium von Miami.
„Boca hat seine Seele zurück“
Vergessen waren erstmal der Stress um das zunächst verweigerte Visum für Verteidiger Ayrton Costa und die Sorgen der südamerikanischen Fans ob der aktuellen Situation für Immigranten in den USA durch die Politik von US-Präsident Donald Trump. Aber auch die sportlichen Enttäuschungen der bisherigen Saison des Clubs, bei dem Maradona einst seine Karriere beendet hatte.
„Boca hat seine Seele zurück“, schwärmte der argentinische Sender TyCSports bei aller Kritik, dass die Mannschaft am Ende nicht clever genug agierte, um den Sieg zu retten. Was zählte, war die Leidenschaft. „Zu sehen, wie Boca gegen eine europäische Mannschaft kämpft, ihr das Leben schwer macht, sie zerkratzt, trotz der Budget-Unterschiede und der individuellen Klasse auf Augenhöhe steht, ist beruhigend. Es lässt die Brust schwellen.“
Ein Verdienst auch von Miguel Ángel Russo. Der 69-Jährige kehrte erneut zurück zum Arbeiterclub aus dem mittlerweile angesagten Hafenviertel der argentinischen Hauptstadt. „Ich will immer das Beste für Boca. Die Menschen in Boca, egal wo auf der Welt, haben mir große Zuneigung entgegengebracht, und das spüre ich jeden Tag und die ganze Zeit“, sagte er schon bei seinem dritten Amtsantritt.
Russo löste Fernando Gago ab und für die Herzensangelegenheit seinen Vertrag bei San Lorenzo auf. Stolz wurde er von Club-Präsident Juan Román Riquelme – 2006 im denkwürdigen WM-Viertelfinale der Argentinier gegen Gastgeber Deutschland als einer der Topstars der Südamerikaner dabei – präsentiert. Auch er, selbst einst Profi bei Boca, steht unter Druck und muss Erfolge vorweisen. Die Club-WM kommt da zur rechten Zeit.
Tollhaus mit Dezibel-Überschuss
Seit Tagen ist Miami schon in argentinischer Hand – ob in den Straßen oder am berühmten South Beach. Und das nicht, weil Superstar und Fußball-Volksheld Lionel Messi Profi von Inter Miami ist. Knapp neun Stunden Flugzeit sind es von Buenos Aires in die Metropole Floridas, die auch für ihre große Latino-Gemeinde berühmt ist.
Das Hard Rock Stadium, in dem sonst der NFL-Club Miami Dolphins spielt oder im Mai noch die Formel 1 ihr Fahrerlager hatte, verwandelten die Fans in ein Tollhaus mit Dezibel-Überschuss, als Miguel Merentiel und Rodrigo Battagli binnen weniger Minuten eine 2:0-Führung herausschossen.
Eine Rote Karte für den bereits ausgewechselten Ander Herrera, der beim Videobeweis von Sicherheitskräften gebändigt werden musste und dafür sanktioniert wurde, und der Ausgleich per Elfmeter durch di María drückten kurzzeitig die Stimmung unter den Boca-Fans der insgesamt 55.574 Zuschauer unmittelbar vor der Pause.
Das Spektakel ging nach der Pause weiter. Lissabons eingewechselter Andrea Belotti (70.) musste mit Rot vom Platz. Otamendi gelang aber in Unterzahl der Ausgleich. Dann bekam auch noch Nicolas Figal von Boca die Rote Karte.
„Boca verließ den Platz mit einem bitteren Beigeschmack“, schrieb „Pagina12“ aus Argentinien. Beide Rotsünder werden gegen die Bayern, die den heißblütigen Auftritt ihres kommenden Gegners nur im Basiscamp rund 370 Kilometer entfernt in Orlando am Fernsehschirm verfolgt hatten, fehlen.
„Das wird schon ein Spiel auf einem anderen Niveau, gegen die Zuschauer, an einem tollen Ort, in einem tollen Stadion“, hatte Bayerns Sportvorstand Max Eberl nach dem 10:0 der Münchner gegen Auckland City bereits betont. „Wir müssen uns verbessern“, forderte Boca-Coach Russo: „Denn wir wissen, dass das nächste Spiel am Freitag (Ortszeit) schwieriger wird als es das heutige war. Das ist die Realität.“