
Ein Sommermärchen wird es nicht. Bei den bevorstehenden Nibelungen-Festspielen zerlegt Roland Schimmelpfennig den Mythos von Siegfried und Hagen. Es ist ein düsterer Blick auf Macht und Männlichkeit.
Das Taglicht schwindet – und mit ihm jede Illusion. Es wird kein Sommermärchen, wenn die Nibelungen-Festspiele in Worms in wenigen Wochen feierlich ihr neues Stück „See aus Asche“ präsentieren. Eher eine Abrechnung. „Die Geschichte geht in die Dunkelheit“, sagt Autor Roland Schimmelpfennig, und er meint nicht nur die während des Stücks versinkende Abendsonne. Auf der Freilichtbühne geht es vom 11. bis 27. Juli um Gewalt. Und um Machtmissbrauch. Und um eine Männlichkeit, die ungefragt nimmt.
Die Geschichte um Drachentöter Siegfried und seinen Mörder Hagen mag alt sein. Die Fragen, die sie aufwirft, sind es nicht. Schimmelpfennig, einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands, will keine Ritterspiele. Er bringt die Figuren „radikal ins Jetzt“ – mit ihrer Grobheit, Gier, Kälte. „Ein verrückter Stoff. Alles sehr irrational und emotional. Auch radikal und düster.“ Es klingt wie eine Warnung. „Manchmal wird einem ein bisschen schwindlig.“
Keine Helden, nur Abgründe
Für Intendant Nico Hofmann ist das der Clou dieser Inszenierung: „Es geht nicht um Heldenpathos, sondern um Männerbilder, um Frauenrollen, um Macht. Das ist in der Form, mit dieser poetischen Schärfe, neu.“ Dass Schimmelpfennig den antiken Stoff ernst nimmt, ihm aber eine neue Tonlage verleiht – darin liegt für Hofmann der Reiz. „Es ist der Versuch, in eine hochpolitische Gegenwart zu sprechen, ohne in Sinnbildern zu ersticken.“
Das Nibelungenlied gilt als eine der Lieblingssagen der Deutschen und erzählt die Geschichte von Siegfried, der durch eine Tarnkappe unbesiegbar wird und den Schatz der Nibelungen erlangt. Er kommt nach Worms, hilft König Gunther beim Bezwingen von Königin Brunhild und heiratet dessen Schwester Kriemhild.
Ein Streit zwischen Brunhild und Kriemhild führt zu Siegfrieds Ermordung durch Hagen. Kriemhild heiratet den Hunnenkönig Etzel, um Rache zu üben, und lockt ihre Verwandten an seinen Hof. Dort entfesselt sie ein Blutbad, bei dem fast alle Burgunder sterben, bevor sie selbst getötet wird.
Bühne mit Geschichte
„Was die Männer mit Brunhild machen, hat mich immer empört“, sagt Jasmin Tabatabai, die Brunhild spielt. Im Mythos werde sexualisierte Gewalt oft romantisiert – in Worms werde sie gezeigt, durchaus politisch aufgeladen. „Kolonialismus, Aneignung, männliche Arroganz – es ist alles da.“ Brunhild, lange Projektionsfläche männlicher Fantasien, ist bei Tabatabai („Der Baader Meinhof Komplex“) eine Frau mit Wut. „Sonst kann man auch Folklore machen.“
Dass all das in Worms stattfinde, sei auch eine kulturpolitische Entscheidung, sagt Tabatabai, die bereits 2006 und 2007 dabei war. „Dass Rheinland-Pfalz das fördert, ist unfassbar wichtig.“ Theater brauche Räume, in denen es riskant sein dürfe. Analog und live.
Im vergangenen Jahr hatte Worms mit rund 20.000 Besuchern eine Auslastung von 87 Prozent. Die Tickets für die Tribüne mit etwa 1.400 Plätzen kosten zwischen 29 und 139 Euro. Der Ort der Festspiele ist historischer Boden: Eine Schlüsselszene, der Streit von Brunhild und Kriemhild, spielt in der Originalsage auf der Nordseite des Doms. In diesem Jahr werden eine Art Grube mit Kies aus dem Rhein sowie eine Wasserfläche und Plastikstühle das Bühnenbild sein.
Hagen, der Widersprüchliche
Für den langjährigen Frankfurter „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch, der Hagen spielt, liegt die Faszination seiner Rolle gerade in ihrer Vieldeutigkeit. Hagen als Bösewicht? „Das greift zu kurz“, sagt er. „Ich will ihn möglichst widersprüchlich zeigen.“ Vielleicht sei Hagen ein Staatsdiener, vielleicht ein Verbitterter, vielleicht ein Mörder aus Pflichtgefühl. Vielleicht sei er auch bloß leer.
Theater müsse wach sein, durchlässig, riskant, sagt Koch. „Wenn es gelingt, dass Zuschauer zucken, weil ein Satz ins Jetzt trifft – dann wäre schon was gewonnen.“ Dann werde das Publikum einen Moment lang verzaubert. „Das ist keine Serie, kein Stream. Das ist – Theater.“ Das diesjährige Stück sei keine gemütliche Rückblende in eine längst vergangene Sagenwelt, sondern ein Spiegel der Gegenwart. „Und der ist dunkel.“