Blumen im Fokus: Eine faszinierende Reise ins Innere der Blüte

  • Juni 25, 2025

Was geht im Inneren einer Blume vor sich? Um das herauszufinden, zertrennt der Fotograf Michael Wohl-Iffland sie mit einer Rasierklinge. Und schenkt uns blühende Stillleben.

Anfangs ruht das zarte Leben im Dunkeln, eng zusammengerollt und gefaltet in einer derben Hülle. Geschützt vor Kälte, Trockenheit und Fressfeinden. Bis die Knospe an dem Tag, wenn die Sonne hoch genug steht, reift und platzt und sich ihr bunter Inhalt an die Luft rekelt. Ein wenig wie ein Schmetterling, der sich aus dem Kokon schält.

Der FotografDer frühere Physiklehrer Michael Wohl-Iffland ist seit Jahrzehnten mit der Kamera unterwegs. Kam er an eine neue Schule, baute er dort fast immer erst mal eine Dunkelkammer auf
© Michael Wohl-Iffland

Der Schöpfer der fragilen Schnitte auf diesen Seiten ist aber weder Gärtner noch Botaniker, sondern als ehemaliger Physiklehrer ein Technik-Enthusiast. Entsprechend wissenschaftlich blickt Michael Wohl-Iffland auf Knospen und Blüten. „Mich faszinieren die vielen Strukturen, die in einer Knospe stecken und die man von außen gar nicht darin vermutet. Und die Kompaktheit, das eng Zusammengedrückte“, erklärt er. „Auch wenn man Satelliten in den Weltraum schickt, sind sie eng zusammengeklappt. Wie eine Mohnblüte, bevor sie im Sommer regelrecht explodiert.“

Die Idee, solche verborgenen Wunder Schicht für Schicht ans Licht zu bringen, kam ihm vor vier Jahren im Botanischen Garten von Singapur. „Dort bekam ich die Blüte einer Palme in die Hand. Ich fing an, sie aufzuklappen, zupfte ein Blütenblatt weg und war so fasziniert, dass ich ein neues Projekt begann.“

Seitdem hat Wohl-Iffland Hunderte Blüten gepflückt und in sein Haus im Hamburger Stadtteil Harburg getragen, gebettet lediglich auf ein paar Blatt feuchtes Toilettenpapier. Sein Fotostudio misst gerade einmal etwa 50 mal 50 Zentimeter auf seinem Schreibtisch im abgedunkelten Arbeitszimmer. Hier schneidet er die Funde mit einer Rasierklinge auf, drapiert sie vor schwarzem, Licht schluckendem Moltonstoff und leuchtet sie mit LED-Lampen aus.

Blüten gehören zu den erfolgreichsten Erfindungen der Evolution

So beginnt eine Fotosafari ins Innere der Blüte: Seine Kamera, eine digitale Lumix, nimmt dazu eine Serie von Bildern auf und verschiebt dabei jedes Mal Fokus und Schärfe um Millimeterbruchteile. Anschließend stapelt die Kamera automatisch die einzelnen Fotodateien und verrechnet sie zu einem Gesamtbild, bei dem das Objekt gestochen scharf und plastisch wirkt. Viel Aufwand für jemanden, der Fotografie aus Leidenschaft betreibt und nicht als Beruf. Und doch wenig im Vergleich zu den immensen Anstrengungen, die Pflanzen seit Millionen Jahren unternehmen, um ihre Spezies zu erhalten und zu verbreiten.

Denn das Objekt Blüte dient nur einem Zweck: der Fortpflanzung. Durch Bestäubung mischen sich die genetischen Informationen aus Pollenkorn und Samenanlage, sodass ein neuer Embryo und daraus ein Samenkorn entsteht. Blüten gehören zu den erfolgreichsten Erfindungen der Evolution. Die zarten Gebilde existierten vermutlich schon vor den Dinosauriern – und überlebten sie mit Leichtigkeit.

Als Forscher der Universität Zürich vor einigen Jahren Schweizer Gesteinsbohrkerne untersuchten, fanden sie darin versteinerten Pollen. Er wurde auf ein Alter von mehr als 240 Millionen Jahren datiert und war damit ganze 100 Millionen Jahre älter als die bis dato ältesten gefunden Blütenreste. Wie die Ur-Blüten ausgesehen haben mögen, lässt sich aus dem versteinerten Staub nicht rekonstruieren. Möglicherweise wurden sie von Käfern bestäubt. Bienen gab es damals noch nicht.

Seine Fotografengeschichte begann mit einem historischen Unglück

Heute sind etwa 300.000 Arten von Blütenpflanzen bekannt, und jede Art hat ihre Bestäubungsstrategie: von den simplen und unscheinbaren Ährchen der Gräser, deren Pollen vom Wind verbreitet werden, bis zu bunten, bizarren Gebilden, deren Sinn es ist, große oder kleine Tiere anzulocken. Daher bieten viele Blütenpflanzen neben knallbunten Kronblättern und betörendem Duft tief unten im Blütenkelch Nektar an. Als Belohnung für Insekten und andere Tiere, die sich die Mühe machen, in die Blüten zu kriechen, und so zum Kurier für den klebrigen Blütenstaub werden. Die größten Nektarmengen produzieren fledermausbestäubte Blüten in den Tropen, denn ihre Besucher sind größer und hungriger als Bienen oder Schmetterlinge.

Andere Pflanzen betrügen ihre Bestäuber schamlos: Die segelartige Blüte des Aronstabs simuliert Fäulnis- und Uringeruch. So lockt sie am Abend Fliegen in eine sackartige Reuse am Blütenboden, aus der die Gefangenen erst am nächsten Morgen entlassen werden, wenn sie komplett mit Pollen eingepudert sind. Orchideen der Gattung Ragwurz kobern Insekten mit leeren Sex-Versprechen: Die dunklen und teils hübsch gestreiften Blüten ahmen Silhouette und Geruch paarungswilliger Bienen- und Grabwespenweibchen nach und werden von Männchen begeistert angeflogen.

Als reiner Naturfotograf sieht sich Michael Wohl-Iffland bei aller Blütenbegeisterung nicht. Auf seinen Bildern ist auch mal Altkanzler Helmut Schmidt zu sehen, die Hamburger Hafenkante oder ein Stück Zeitgeschichte. Seine eigene Fotografengeschichte begann mit einem historischen Unglück: 1964 hatte er sich vom Konfirmationsgeld die erste Kamera gekauft, eine Agfa mit zwei Blenden. Die wollte er ausprobieren, beim Tag der offenen Tür der U.S. Air Force in seiner Heimatstadt Bremerhaven. Doch bei einer Flugvorführung stürzte ein Starfighter ab. Erster Fotograf vor Ort war der 14-jährige Michael.

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