Gesundheitswesen reformieren: Kassenärzte wollen mehr Eigenverantwortung der Patienten

  • Juni 28, 2025

Das Gesundheitssystem ist im Umbau. Die Kassenärztliche Vereinigung macht umfassende Vorschläge. Betroffen sind Arztpraxen und Kliniken.

Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz hat eine schnelle Finanzreform und Entbürokratisierung des Gesundheitssystems sowie mehr Eigenverantwortlichkeit und eine bessere Patientensteuerung gefordert. „Das marode Gesundheitssystem braucht dringend einen Booster“, sagte Vorstandsvize Andreas Bartels im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Sonst werde es bald kollabieren. 

KV fordert höheres Tempo 

„Wir haben lange genug an der Ampel gestanden und gewartet“, sagte Bartels mit Blick auf die letzte Bundesregierung. Die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) stehe unter enormem Druck, „es sind sehr, sehr viele Probleme, die jetzt wirklich schnell angegangen werden müssen“. Manches wie die Notfallreform liege in großen Teilen vor und müsse nur umgesetzt werden. 

Notwendig sei „ein Booster in der Ambulantisierung“, forderte Bartels. „Es ist genug Geld im System.“ Die Krankenhäuser in die ambulante Versorgung einzubauen, sei der „völlig falsche Weg“. „Wir geben da Geld in ein System, das diese ambulante Versorgung, wie wir sie leisten als niedergelassene Ärzte, nicht leisten werden können.“

Bedarfsplanung und Budgetierung streichen

Budgetierung, Bedarfsplanung und Bürokratisierung bei niedergelassenen Ärzten sollten wegfallen, weil sie die Versorgung einschränkten, forderte Bartels, der Facharzt für Anästhesie ist. „In Rheinland-Pfalz wartet man derzeit ein halbes Jahr auf einen Termin für eine Magen-Darm-Spiegelung, aber wir haben mindestens 10 bis 15 große Praxen, die gerne zusätzliche Ärzte beschäftigen würden.“ Dies sei aber wegen der Bedarfsplanung und einer vermeintlichen Überversorgung nicht möglich. 

Stattdessen fließe viel Geld in Krankenhausstrukturen, obwohl nach einer aktuellen Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums nur noch rund 63 Prozent der Betten belegt seien. „Wir müssten weg von der dualen Finanzierung des stationären Systems.“ Bartels Vorschlag: „Man könnte die stationären Behandlungen ebenso von den Krankenkassen vollständig bezahlen lassen und den Krankenkassen auch einen Anteil an Strukturgeld direkt geben, was jetzt ja auch aus dem Steuergeld fließt.“ 

Dann gebe es „endlich eine Parallelität in den Behandlungsstrukturen und in den Behandlungskosten“ und das Ungleichgewicht zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Medizinern würde sich vereinheitlichen, sagte Bartels. 

Regiokliniken führen zu Wettbewerbsnachteilen 

Ein Problem hat der KV-Vize auch mit den von der Landesregierung geplanten Regiokliniken: „Wenn die Krankenhäuser substituiert werden und als Regiokliniken ambulante Leistungen erbringen, dann finde ich keinen Arzt mehr, der sich an dem Ort niederlässt.“ Denn dieser habe dann einen Wettbewerbsnachteil, weil die Strukturen und Geräte des Krankenhauses aus Steuermitteln finanziert würden, er sie aber selbst bezahlen müsse. Die Fokussierung auf vergleichsweise teure Krankenhäuser sei auch in Zeiten neuer, sehr teurer Behandlungsmethoden – wie der individuellen Krebstherapie – der falsche Weg. 

Patienten müssen finanziell beteiligt werden 

An die Stelle der „Vollkasko- oder Flatratementalität“ mancher Patienten müsse mehr Eigenverantwortung und auch Eigenbeteiligung treten, forderte Bartels. Ein Prozent des Bruttoeinkommens als zusätzliche Selbstbeteiligung bei jeder Leistung außer bei der Vorsorge – wie von dem Experten Boris Augurzky vorgeschlagen -, halte er für sinnvoll. Auch der SPD-Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, sei eine Möglichkeit. „Besserverdienende müssen mehr leisten“, betonte Bartels. 

Die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte müsse reduziert werden, dafür brauche es auch „eine neue Art der Gesundheitserziehung“, denn die Unsicherheit vieler Patienten habe extrem zugenommen. Als Beispiel nannte er Kinderärzte, die von vielen Eltern wegen jedes Hustens und Schnupfens aufgesucht würden. Ein Grund dafür sei auch, dass die Eltern so viele Bescheinigungen für die Schule, die Kita und den eigenen Arbeitgeber bräuchten. 

Terminvergabe über 116 117 muss besser werden

Auch über die Wiedereinführung von Karenztagen für Arbeitnehmer müsse nachgedacht werden. Karenztage sind die ersten Tage, in denen man im Krankheitsfall kein Geld bekommen würde. 

Die Terminvergabe über die Servicenummer 116 117 der KV sei schon deutlich besser geworden, könne Dringlichkeit steuern und werde mit Hilfe von KI und Telemedizin noch weiter verbessert. Allerdings könnten bislang nur Termine für die nächsten 35 Tage und nicht darüber hinaus angeboten werden. „Die Ärzte stellen zu wenig Termine zur Verfügung.“ Der Grund: Viele Patienten buchten zwar einen Termin, kämen dann aber nicht. Jeder Arzt sollte nach Ansicht Bartels 25 Termine im Quartal bei der 116 117 anbieten müssen und die Krankenkassen diese pauschal vergüten. 

Hausärzte als Lotsen schaffen neue Probleme 

Der KV-Vize wandte sich gegen eine Steuerung der Patientenkontakte über die Hausärzte als Lotsen. Damit werde ein neues, noch dazu teures Nadelöhr geschaffen. Aktuell seien 223 von 2.427 Hausarztsitzen nicht besetzt, Tendenz steigend. „Die Praxen sind jetzt schon voll.“ 

Nach einer Erhebung der KV kämen damit durchschnittlich 400 weitere Patienten pro Jahr auf einen Hausarzt zu, die derzeit ohne Überweisung den Facharzt aufsuchten. Dabei gebe es große Unterschiede zwischen den Regionen, die Zahlen schwankten zwischen 180 und 900. Die Kosten für die Lotsenfunktion in diesen Fällen bezifferte er allein in Rheinland-Pfalz auf rund 27 Millionen Euro im Jahr.

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