
Seit Jahren sind Schüler in NRW bei den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen auf dem absteigenden Ast. Das Schulministerium sucht Wege aus der Bildungskrise – und will die Schüler mehr testen.
Als Konsequenz aus dem jahrelangen Rückgang der Basiskompetenzen der Schüler in Nordrhein-Westfalen will das Schulministerium die Zahl der Lernstandserhebungen deutlich erhöhen. Künftig soll es drei zusätzliche Erhebungen geben, wie Schulministerin Dorothee Feller (CDU) in einer Videobotschaft ankündigte. Diese werden in den Klassen 2, 5 und 7 eingeführt.
Bisher gibt es in NRW die auch bundesweit durchgeführten VERA-Vergleichsarbeiten in den Jahrgangsstufen 3 und 8 in Deutsch und Mathematik sowie bei VERA-8 zusätzlich in einer Fremdsprache. Alle künftig fünf Lernstandserhebungen sollen ein fortlaufendes Monitoring der Schülerleistungen samt Controlling der jeweiligen Förderung ermöglichen.
Die zusätzlichen Lernstandserhebungen sollen bis zum Jahr 2030 stufenweise zunächst in Pilotphasen und dann verbindlich flächendeckend eingeführt werden, so Feller. „Die Trendwende gelingt uns nicht im Vollsprint, sondern nur Schritt für Schritt und mit einem klaren Kompass“, sagte die Ministerin.
Schüler sollen Feedback geben
Gleichzeitig soll auch ein Schülerfeedback entwickelt werden, um mehr über die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu erfahren. Auf einem digitalen Portal sollen Schüler Fragen etwa zum Unterrichtsbeginn, zu ihrem Wohlbefinden oder zu Hilfe aus dem Elternhaus beantworten, allerdings kein Lehrer-Bashing betreiben können.
Mehr Mathe und Deutsch
Auch mit anderen Instrumenten versucht das Schulministerium bereits, die Basiskompetenzen der Schüler zu stärken. So greift im neuen Schuljahr erstmals die Stärkung der Fächer Deutsch und Mathematik an den Grundschulen – in jeder Jahrgangsstufe wird es jeweils eine Unterrichtsstunde mehr in Deutsch und Mathe geben. In den Grundschulen gibt es zudem eine verbindliche Lesezeit von wöchentlich mindestens dreimal 20 Minuten.
Zielvereinbarungen mit den Schulen
Mit den fünf Lernstandserhebungen sowie den Zentralen Prüfungen der Klasse 10 (ZP 10) soll künftig der Lern- und Entwicklungsstand der Schüler systematisch erfasst werden. Das Schulministerium setzt in ihrem Konzept „Schulkompass NRW 2030“ auf eine datengestützte Qualitätsentwicklung. Diese habe zum Beispiel in Hamburg und anderen Ländern schon zum Erfolg geführt.
Besonders erfolgreich arbeiten Schulen demnach dort, wo sie systematisch Daten analysieren, um die Schüler passgenau zu fördern. Feller nannte die geplante Datenstrategie für NRW im Schulausschuss des Landtags dennoch eine große Herausforderung. Denn während Hamburg nur 400 Schulen habe, seien es in NRW 5.400.
Durch die Erhöhung der Zahl der Lernstandserhebungen sollen mehr Daten gewonnen werden, die die Schulen dann zusammen mit der Schulaufsicht, also den Schulämtern und Bezirksregierungen, analysieren sollen. Gemeinsam sollen künftig einmal im Jahr Zielvereinbarungen mit den Schulen geschlossen werden. Darin wird verabredet, wie Schulleitungen und Lehrkräfte den Bildungserfolg ihrer Schüler verbessern wollen.
Wohl keine Abstriche bei Klassenarbeiten
Darüber hinaus soll bereits im Schuljahr 2025/26 erstmals allen Grundschulen ein digitales Screening-Verfahren zur Verfügung stehen, um die Lernstände der angehenden Erstklässler schon bei der Schulanmeldung zu erfassen und eine passgenaue Förderung in die Wege zu leiten.
Im Schulausschuss sagte Feller auf die Frage der Opposition, ob angesichts der zusätzlichen Lernstandserhebungen Klassenarbeiten entfallen sollte: „Eher nicht.“ Denn während in den Erhebungen Kompetenzen abgefragt würden, würden in Klassenarbeiten inhaltliche Themen abgefragt.
Die FDP-Opposition schlug vor, die Lernstandserhebungen so zu konzipieren, dass sie auch Klassenarbeiten ersetzen könnten. Die FDP-Schulpolitikerin Franziska Müller-Rech bemängelte: „Es wird gemessen, aber wie werden die Schülerinnen und Schüler danach individuell gefördert?“ Dieser Frage sei Feller im Ausschuss ausgewichen.
Feller sagte, die Lernstanderhebungen sollten möglichst ein digitales Format haben, damit die Lehrkräfte weniger Zeit für Korrekturen aufwenden müssten. Lernstandserhebungen werden nicht benotet, da sie als Diagnoseinstrumente dienen. Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem Abschneiden einer Klasse, sondern sie liefern Rückschlüsse auf die Kompetenzen und Defizite der Schülerschaft.
Ein Viertel der Schüler verfehlt Mindeststandards
Die Daten-Strategie ist eine Reaktion auf die Ergebnisse der jüngsten Schulleistungsstudien wie den IQB-Bildungstrends für Grundschulen und die Sekundarstufe I. Dabei war herausgekommen, dass rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in NRW die Mindeststandards im Lesen, Schreiben, Zuhören und Rechnen verfehlt – eine Entwicklung, die bereits seit 2011 anhält. Gleiches gilt für die sozial-emotionalen Kompetenzen.
Mit mehr Daten die Qualität der Schulen entwickeln
Vom Schulsozialindex über die Ergebnisse der bisherigen Lernstandserhebungen bis hin zur Unterrichtsstatistik liegen nach Angaben Fellers schon heute vielfältige Daten zu Schulen und Schülern vor. In Zukunft bereite das Ministerium regelmäßig relevante Daten auf und werde sie in einem digitalen Dashboard zur Verfügung stellen. Bis zu der Einführung des Boards gebe es noch ein Datenblatt.
Datengestützte Qualitätsentwicklung gebe ein enormes Potenzial für die schulspezifische Entwicklung, sagte auch der Bildungsexperte Professor Stephan Huber, der das Land berät. Dabei gehe es auch darum, Prioritäten zu setzen. Wichtig sei für jede Schule, Bewährtes zu bewahren, fehlende Maßnahmen neu einzuführen und wenig Nutzbringendes abzuschaffen. „Im Mittelpunkt von Schulentwicklung muss immer die Frage nach dem Nutzen stehen“, so Huber.
Verhaltene Reaktion von Bildungsverband
Der Landesverband Bildung und Erziehung (VBE NRW) erklärte, dass regelmäßige Lernstandserhebungen dann besonders sinnvoll seien, wenn die Kinder und Jugendliche bestmögliche Voraussetzungen für eine optimale Lern- und Leistungsentwicklung hätten. Aus der Datenerhebung müsse eine gezielte Förderung erfolgen – sonst sei alle Analyse sinnlos, sagte die VBE-Landesvorsitzende Anne Deimel. Viele Schulen litten unter einer Mangelverwaltung, brauchten mehr Personal und kleinere Lerngruppen, um ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden.