Probleme nach Zensus: Ja mei, wo sind die Bayern abgeblieben?

  • Juli 12, 2025

Glaubt man der jüngsten Volkszählung, leben in Bayern weniger Menschen als angenommen. Das hat Folgen für die Kassen der Gemeinden. Was hinter dem „Bevölkerungsschwund“ steckt.

2.056 Gemeinden hat der Freistaat Bayern – von der Landeshauptstadt München bis zum 800-Seelen-Nest Jachenau. Und in fast allen geht die Angst um. Grund dafür ist eine simple, wenn auch nicht klar zu beantwortende Frage: Wie viele Menschen leben in Bayerns Gemeinden? Denn diese Zahl bestimmt, wie viel Geld diese bekommen.

Die Melderegister der Kommunen und die Volkszählung, der sogenannte Zensus, kommen auf unterschiedliche Einwohnerzahlen. So verzeichnet der Zensus in fast 90 Prozent aller bayerischen Gemeinden weniger Einwohnerinnen und Einwohner als die Melderegister. Die Hälfte aller Gemeinden Bayerns verliere so rund zwei Prozent ihrer Einwohnerinnen und Einwohner, 15 Gemeinden sogar mehr als zehn Prozent, berichtet der Bayerischer Rundfunk (BR) unter Berufung auf Daten des Statistischen Bundesamtes. Maßgeblich für die Gelder aus dem kommunalen Finanzausgleich sind die ermittelten Einwohnerzahlen des Zensus – und nicht die der Melderegister. Es gibt also weniger Geld für die vom „Bevölkerungsschwund“ betroffenen Kommunen.

Ein Beispiel: In der Gemeinde Emmering bei Fürstenfeldbruck leben laut Melderegister fast 7.000 Menschen, dem Zensus zufolge sind es 450 weniger. Was sich nach einer geringfügigen statistischen Ungenauigkeit anhört, soll Emmerings Bürgermeister Stefan Floerecke zufolge die Gemeinde 3,2 Millionen Euro über zehn Jahre kosten. Floerecke hat laut BR Einspruch erhoben. Daraufhin habe das zuständige Landesamt für Statistik die Zahl um 133 Einwohner nach oben korrigiert – „ohne neue Daten zu erheben oder bei uns im Rathaus noch mal nachzufragen“, sagte der Bürgermeister dem BR. Er reichte Klage vor dem Verwaltungsgericht ein.

Damit ist Floerecke nicht allein. Nicht nur in Bayern, sondern bundesweit haben Kommunen gegen die Ergebnisse des Zensus geklagt. Allein beim Verwaltungsgericht Greifswald sind beispielsweise rund 200 Klagen von Gemeinden aus Mecklenburg-Vorpommern eingegangen.In Baden-Württemberg klagten über 100 Kommunen,in Hessen etwa 40.

Statistisches Bundesamt nimmt Differenzen bewusst in Kauf

Obwohl sich der Zensus auf die Melderegister der Kommunen stützt, soll er die Zahlen aus ebendiesen Registern bereinigen und korrigieren. Dass es zu Abweichungen zwischen Bevölkerungszahlen des Melderegisters und des Zensus komme, sei „erwartbar“, sagt ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes dem stern. Die Gründe hierfür seien unter anderem:

Menschen haben sich (noch) nicht an ihrem Hauptwohnsitz angemeldet.Menschen haben sich bei einem Fortzug aus der bisherigen Gemeinde (noch) nicht in ihrer neuen Gemeinde angemeldet.Menschen haben sich beim Fortzug ins Ausland nicht abgemeldet.Fluchtbewegungen tragen seit dem letzten Zensus 2011 zu Ungenauigkeiten in den Melderegistern bei.Besonders in touristischen Regionen melden sich Eigentümerinnen und Eigentümer von Ferienwohnungen möglicherweise mit Hauptwohnsitz am Ferienort an, obwohl sie dort nicht dauerhaft wohnen und demnach nicht als Einwohnerin bzw. Einwohner zu zählen sind. Zusätzlich sind Feriengebiete häufig durch einen großen Anteil an Saisonarbeitskräften mit hoher Fluktuation geprägt, deren Meldeverhalten nicht immer lückenlos ist.

„Der Zensus ist deshalb als regelmäßige Inventur der Bevölkerungszahlen nötig“, erklärt der Sprecher und erläutert die Methode der Volkszählung: Alle zehn Jahre werden, basierend auf den Daten der Melderegister, etwa zehn Prozent der Bevölkerung nach ihren Wohnsituationen befragt. Hierzu statten ihnen Interviewerinnen und Interviewer vor Ort einen Besuch ab, um die Zahl der tatsächlich dort wohnenden Personen zu ermitteln. Zudem müssen alle Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohnungen oder Häusern verpflichtend Fragen beantworten. Anschließend werden die Ergebnisse „nach einem wissenschaftlichen Verfahren hochgerechnet“, so das Statistische Bundesamt.

„Da es sich hierbei um die Hochrechnung einer Stichprobe handelt, kann die so ermittelte Zahl im Einzelfall ebenfalls von der tatsächlichen Bevölkerungszahl abweichen“, erklärt die Bundesbehörde. In der Regel liege sie aber deutlich näher am tatsächlichen Wert als die Anzahl bei alleiniger Nutzung der Melderegister. „Die im Einzelfall auftretenden Differenzen werden in Kauf genommen, um die Durchführbarkeit bundesweit einheitlich in allen Kommunen zu gewährleisten und Kosten und Aufwände zu begrenzen.“

Kommunen aus Bayern und ganz Deutschland klagen gegen Zensus

Ein weiteres Problem mit dem Zensus: Die erhobenen Daten werden den Statistikern zufolge streng vertraulich behandelt. Die Gemeinden erhalten schlussendlich nur ihre neuen Einwohnerzahlen. Über konkrete fehlerhafte Einträge in ihren Registern darf ihnen die Bundesbehörde keine Auskunft geben, was das Bereinigen von Fehlern erschwert. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1983 in seinem „Volkszählungsurteil“ entschieden. Demzufolge darf das Statistische Bundesamt bearbeitete Einzeldatensätze, aus denen sich auf konkrete Personen schließen lässt, nicht an die Einwohnermeldeämter der Kommunen zurückübermitteln. 

Aktuell werde die Methode des Zensus weiterentwickelt, sagte der Leiter des Bayerischen Landesamtes für Statistik, Thomas Gößl dem BR. Künftig solle sie auf ein vollständig registerbasiertes Modell – ohne zusätzliche Befragungen der Haushalte – umgestellt werden. Ob es dadurch zu weniger Diskrepanzen zwischen den Melderegistern und dem Zensus kommt, bleibt abzuwarten.

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