Koalitionskrise: Warum Saskia Ludwig gegen Frauke Brosius-Gersdorf zu Felde zieht

  • Juli 14, 2025

„Sie wäre der Super-GAU“: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig lehnt die Richterwahl von Frauke Brosius-Gersdorf ab – und will einen Corona-Untersuchungsausschuss.

Frau Ludwig, Sie haben öffentlich dafür getrommelt, Frau Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin zu verhindern. Spielen Sie mit der Stabilität der Koalition?
Die Professorin aus Potsdam hätte eine Gefahr für die Unabhängigkeit und vor allem die Neutralität des Bundesverfassungsgerichts dargestellt, jedoch sicher nicht für die Stabilität der Koalition. Die Abgeordneten in unserer Fraktion sind ausschließlich ihrem Gewissen unterworfen. Das hat der Bundeskanzler in seinem Sommerinterview mehrfach – und richtigerweise – noch einmal für die interessierte Öffentlichkeit wiederholt.

Moment mal, eine Gefahr für die Neutralität von Karlsruhe? Unter Verfassungsrechtlern gilt sie als Top-Kandidatin.
Alle Bürger, also auch die von Ihnen zitierten Verfassungsrechtler, haben die Möglichkeit, sich die Ausführungen des Ehepaars Gersdorf mit dem Titel „Allgemeine Impfpflicht gegen COVID-19-Virus verstößt nicht gegen die Verfassung“ auf der Webseite der Universität Potsdam anzusehen und sich ihr Urteil selbst zu bilden.

Sie vertreten selbst häufig streitbare konservative Positionen. Warum halten Sie die von Frau Brosius-Gersdorf nicht aus?
Weil Frau Brosius-Gersdorf nicht als Bundestagsabgeordnete der Linken oder der Grünen zur Wahl stand. Hier geht es um eine Richterstelle, die auf zwölf Jahre befristet ist, nicht um eine vierjährige Abgeordnetentätigkeit. Mein volles Engagement in dieser Legislaturperiode gilt der Aufarbeitung des Versagens fast aller demokratischen Institutionen in der Corona-Zeit. Und dazu gehören auch die Richter, ob als Amtsrichter oder erst recht am Bundesverfassungsgericht, die zu absoluter Neutralität verpflichtet sind.

Dass Frau Brosius-Gersdorf für die Impfpflicht war, disqualifiziert sie aus Ihrer Sicht für das Verfassungsgericht?
Ja, eindeutig. Es gilt, das Bundesverfassungsgericht zu schützen. Deshalb werden an alle Richter höchste Ansprüche gestellt. Dazu gehört selbstverständlich auch Stephan Harbarth, der aktuelle Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Es wäre interessant zu erfahren, wie es im Juni 2021 zum „Corona-Dinner“ mit Verfassungsrichtern im Kanzleramt kam – just vor den Entscheidungen des Gerichts zur Corona-Politik der Bundesregierung.

Wir können Sie beruhigen: Es gibt eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung.
Ja. Aber die Frage ist: Wie sind die demokratischen Entscheidungsstrukturen ausgehebelt worden? Wo waren diese Strukturen nicht resilient? Da werden gerade auch beim Bundesverfassungsgericht die Recherchen sehr spannend. Die Professorin aus Potsdam wäre an dieser Stelle der Super-GAU gewesen.

Jens Spahn hat erst im letzten Moment eingelenkt. Hat er den Fall unterschätzt?
Das ist nicht die Frage. Warum hat sie ihre Bewerbung für das höchste Richteramt beim Bundesverfassungsgericht nicht aus staatspolitischer Verantwortung vor dem angesetzten Wahltermin zurückgezogen? Es war mehr als absehbar, dass die von Herrn Miersch, Frau Reichinnek und anderen linken Fundamentalisten hofierte Professorin – gerade für uns Ossis – nicht wählbar war und auch niemals sein wird.

Herr Spahn kommt dem Vernehmen nach gut mit Herrn Miersch aus, den Sie mal eben als Fundamentalisten bezeichnen. Was erwarten Sie denn jetzt von ihm?
Meine Erwartungen habe ich bereits mit ihm persönlich ausgetauscht. Die seit 2018 geltende Vorschlagsformel, bei der die SPD drei Stellen besetzt, Grüne und FDP je eine, entspricht nicht mehr dem gesellschaftlichen Abbild. Es ist heute niemandem mehr zu erklären, warum Herr Miersch gemeinsam mit Radikallinken und Linken im grünen Gewand insgesamt vier Verfassungsrichterstellen besetzen darf.

Der Kanzler sieht das offenbar anders. Er hatte noch letzte Woche ein Ja der Union in Aussicht gestellt. Ein Fehler?
Der Bundeskanzler gehört der Exekutive an. Deshalb bin ich ihm sehr dankbar für die Klarstellung, dass die Abgeordneten ausschließlich ihrem Gewissen unterworfen sind und ihre Entscheidungen unabhängig vom Regierungshandeln treffen.

Richterwahl: Ludwig nennt Brosius-Gersdorf unwählbar

Die AfD setzt auf genau solche Momente, in denen die politische Mitte funktionsunfähig wird. Das stört Sie nicht?
Was ist denn die politische Mitte in Deutschland und was bedeutet das? Die AfD in Brandenburg hat neun von zehn Wahlkreisen bei der letzten Bundestagswahl direkt gewonnen. Ihr Alleinstellungsmerkmal im Bundestagswahlkampf war unter anderem das Thema Corona. Auch deshalb muss es jetzt einen Corona-Untersuchungsausschuss auf Bundesebene geben, der insbesondere von all jenen Parteien beschlossen werden sollte, die sich der Bedeutung und Brisanz dieses Themas bis jetzt nicht bewusst waren.

Das würde Ihren eigenen Fraktionsvorsitzenden vor allem treffen, der in der Maskenaffäre unter Druck steht.
Es geht hier nicht um parteipolitische Spielchen, wie sie aktuell beim Genossen Miersch zu erleben sind. Jeder, der seinerzeit Fehler gemacht hat, sollte sich seiner Verantwortung stellen, insbesondere in der Bundespolitik. Damals wurden ganze Bevölkerungsgruppen – Stichwort „Pandemie der Ungeimpften“ – ausgeschlossen, die ihr Kreuz auch deshalb in Größenordnungen bei den Blauen gemacht haben. Hier muss verloren gegangenes Vertrauen in die politische Mitte zurückgewonnen werden. Das erreicht man nicht mit der Wahl einer radikalen Impfpflichtbefürworterin.

Frau Brosius-Gersdorf hat angeboten, vor der Union zu erscheinen. Macht das Sinn?
Nein, es hätte aber auch vor fünf Wochen keinen Sinn ergeben, denn sie war und ist zu keinem Zeitpunkt wählbar. Jedoch wären ihre juristischen Beweggründe und fachlichen Ausführungen zur Implementierung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland in einem notwendigen Corona-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages interessant zu erfahren.

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