
Die Energiewende braucht Platz. Das bekommt in Ostthüringen ein Verein zu spüren, der ungewollten Kühen ein Zuhause gibt. Die Geschichte einer unfreiwilligen Wohnungssuche mit 19 Rindern.
Seine Schützlinge haben keine Lobby: Sebastian Becher kümmert sich seit fast 18 Jahren um „ungewollte“ Kühe, wie er selbst sagt. Der 48-Jährige aus Eisenhüttenstadt ist überzeugter Hinduist und hat mehrere Jahre in einem indischen Kloster gelebt. Der Schutz der Kuh als heiliges Tier hat in seiner Religion einen hohen Stellenwert.
Zusammen mit seiner Ex-Frau betreibt er den Verein „Happy Kuh“, in dem Rinder einfach Rinder sein dürfen. Auf Weideflächen unweit der Autobahn A9 nahe der Stadt Hermsdorf dürfen die Tiere ihren Lebensabend verbringen. Das wollte auch Sebastian Becher. Doch die Energiewende will es anders:
Zuhause für Eltern, Kinder und 19 Rinder gesucht
„Das Problem ist, dass beschlossen wurde vor vielen Jahren, dass hier Windräder her gebaut werden sollen. Anfänglich hieß es, die Windräder kommen auf die Weideflächen und die Kühe können bleiben, und dann hat man sich halt entschieden, die Windräder in den Wald zu setzen und die Weideflächen werden jetzt als Ausgleichsfläche zur Aufforstung benutzt.“
Und so suchen Becher und seine Ex-Frau ein Zuhause – für die getrennt lebenden Eltern und ihre beiden Kinder, und für 19 Rinder. Einen Umzug in die Ferne wollen die Kuh-Hirten vermeiden, doch ausgeschlossen ist es nicht. Bis in die Uckermark sind sie bereits gereist und haben Flächen angeschaut. Und langsam drängt die Zeit, denn ihre rund neun Hektar Weideflächen müssen sie bereits räumen. Derzeit finden bereits erste Baggerarbeiten statt.
Windkraftunternehmen sehen großes Potenzial in den geplanten Flächen zum Bau von Windrädern in Nord- und Ostthüringen. Die regionalen Planungsverbände in Nord- und Ostthüringen haben erst im Juni ihre aktuellen Regionalplanentwürfe verabschiedet. Daraus geht eine deutliche Vergrößerung der bislang für den Bau von Windrädern geplanten Flächen hervor.
66 neue sogenannte Vorrangeignungsgebiete in Nord- und Ostthüringen sind vorgesehen. In Ostthüringen läuft das Beteiligungsverfahren für die Öffentlichkeit bereits, in Nordthüringen ist es noch dieses Jahr geplant. Alle befragten Unternehmen sagten der Deutschen Presse-Agentur, dass sie sich bereits Flächen für entsprechende Anlagen durch langjährige Pacht gesichert hätten.
Abo Energy: Bis zu 64 Windräder möglich
Eines davon ist Abo Energy: In elf der potenziellen Gebiete hat sich das Unternehmen aus Wiesbaden nach eigenem Bekunden bereits Flächen gesichert. Möglich seien nach derzeitigem Stand bis zu 64 Windkraftanlagen mit einer jeweiligen Gesamthöhe von 240 Meter und einer Leistung von mindestens sieben Megawatt, so das Unternehmen. Partner vor Ort seien unter anderem Kommunen, landwirtschaftliche Unternehmen aber auch private Landeigentümer.
Auch das Berliner Unternehmen Erneuerbare Energien Fabrik (EEF) hat „mehrere geeignete Standorte identifiziert und gesichert“, heißt es auf dpa-Anfrage. Belastbare Angaben zur Anzahl der konkret umsetzbaren Anlagen mache das Unternehmen derzeit aber nicht. Ähnlich ist das bei der Dresdner Windkraft-Firma VSB, die seit Kurzem dem französischen Energieunternehmen Total Energies gehört: „Wir hoffen, dass der Dialog mit allen Betroffenen und Verantwortlichen weiterhin transparent und offen geführt werden kann, um diese Flächen auch tatsächlich nutzbar zu machen“, so eine Sprecherin. Die Erfahrung zeige, dass viele „Hürden, Befürchtungen und Missverständnisse“ im Dialog aus dem Weg geräumt werden könnten.
Bürgerinitiative: „Kann nicht sein, dass wir dafür die Wälder opfern!“
Doch die Weideflächen der Hindu-Kühe sind nur ein kleiner Teil der betroffenen Fläche: In dem Wald nahe Hermsdorf sieht der neue Regionalplan eine insgesamt deutliche Vergrößerung der bisher ausgewiesenen Windkraftfläche vor. Das Ergebnis ist der möglicherweise größte Windpark in Ostthüringen – nahezu ausschließlich geht es dabei um Wald.
Ohne Energiemix gehe es nicht, sagt Günter Peupelmann. Aber: „Das kann’s nicht sein, dass wir dafür die Wälder opfern“, so der Vorsitzende der Bürgerinitiative Holzland, der diese Interessen auch im Kreistag des Saale-Holzland-Kreises vertritt. Schon der Name „Holzland“ zeige: Der Wald ist für die Menschen der Region ein Teil ihrer Identität. Es ist längst nicht die einzige Bürgerinitiative vor Ort, die gegen Windräder mobil macht.
Die Sorge hier ist groß: vor Zerstörung der Natur, vor Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, und vor zunehmender Unsicherheit in der Stromversorgungssicherheit. Man werde weiter kämpfen, so Peupelmann selbstbewusst. „Wir sind dagegen, dass Wald vernichtet wird. Das ist unser Ziel, das so viel wie möglich zu reduzieren.“