Pro und Contra: Sollte es einen Pflichtdienst für Senioren geben?

  • Juli 21, 2025

Der Soziologe Klaus Hurrelmann fordert einen sozialen Pflichtdienst für Senioren. Ist das der Inbegriff der Solidargemeinschaft? Oder schlicht ungerecht?

Um die junge Generation zu entlasten und das Land verteidigungsfähig zu machen, schlägt Soziologe Klaus Hurrelmann im „Spiegel“ einen sogenannten „Pflichtdienst für Senioren“ vor. Ein weiteres Jahr im Dienste der Gesellschaft statt im wohlverdienten Ruhestand? In der stern-Redaktion löst die Forderung heftige Diskussionen aus. Kann man Rentnern am Ende ihres Arbeitslebens eine solche Aufgabe zumuten? 

Contra: Sollen sich die Senioren ihre teils krummen Rücken noch krummer machen?

Von Daniel Sippel

Wenn Menschen in die Rente gehen, haben sie ein ganzes, langes Leben geschuftet. 40 Jahre, vielleicht auch 45 Jahre haben sie gearbeitet und Steuern gezahlt. Die, die jetzt in Rente gehen, wurden um 1960 herum geboren.

Der Vorschlag eines „Pflichtdienst für Senioren“ klingt, als hätten sie im Leben noch nicht genug geleistet. Als sollten sie ihre krummen Rücken jetzt bitte noch krummer machen. Für den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Man müsse die ganze Gesellschaft in die Pflicht nehmen.

Mit 65 Jahren, manchmal schon mit 63 Jahren, würden die Leute zu „Privat- und Urlaubsmenschen“, wie Hurrelmann sagt. Ich lese leichte Entrüstung heraus, wenn er fragt: „Was ist denn das für ein Konzept?“

Ich bin auch entrüstet. Es reicht offenbar nicht, dass die Senioren teilweise den Grundwehrdienst geleistet oder Zivildienst gemacht haben. Nein, nicht genug. Die Menschen haben 45 Jahre lang Steuern gezahlt? Nicht genug. Der Staat sollte noch mehr einfordern, sagt der Soziologe. Ich finde das übergriffig. Aber es ist auch moralisch falsch.

Denn was für ein Menschenbild steckt hinter einer Aussage wie dieser? Hurrelmann stellt sich Rentner als faule Leute vor. Sie seien lediglich „Urlaubsmenschen“. Ich kenne aber viele Rentnerinnen und Rentner, die nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen fahren und auf Balkons liegen.

Ich kenne Rentner, die minijobben, um irgendwie über die Runden zu kommen. In Berlin sehe ich fast jeden Tag Rentner, die Flaschen sammeln. Die, die nicht um ihre Existenz bangen müssen, engagieren sich zum Teil gesellschaftlich. Sie backen Kuchen für das Kirchenfest, sind Schatzmeisterinnen in Vereinen, helfen bei Tafeln. Sie demonstrieren gegen Ungerechtigkeit und helfen dabei, Enkelkinder großzuziehen.

Selbstverständlich gibt es auch die, die ihr Rentendasein genießen und sich nicht engagieren. Und wer könnte es ihnen übelnehmen? Der Mensch ist nicht nur Arbeitsmensch und Bürger. Er ist auch Privatmensch. Und nach Jahrzehnten voller Arbeit, Stress und Trubel darf er das auch. Die Senioren haben es sich verdient, Privat- und Urlaubsmenschen zu sein. Das auszusprechen und dafür einzustehen – das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhang. Denn das ist die Anerkennung der Lebensleistung von Millionen Seniorinnen und Senioren.

Pro: Der Pflichtdienst für Senioren muss kommen! Auch die ältere Generation muss Verantwortung übernehmen

Von Phil Göbel

45 Jahre schuften und dann auch noch ein verpflichtendes Sozialjahr, statt in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen: Ist das gerecht? Kein bisschen! Aber es hat auch niemand behauptet, dass das Leben gerecht ist. Wenn die Bundeswehr wieder verteidigungsfähig sein soll, müssen alle mit anpacken. Die Verantwortung für dieses Dekadenprojekt einfach auf den Rücken der jungen Generation zu legen, klingt im ersten Moment nachvollziehbar, weil die Älteren „ihren Dienst ja schon geleistet haben“. Doch mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht wird es nicht getan sein.

Der ehemalige Finanzminister und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble prägte einst die Beschreibung der „Schicksals- und Solidargemeinschaft“. Und genau eine solche Gemeinschaft brauchen wir jetzt. 

Niemand erwartet von Senioren, dass sie nach ihrem Arbeitsleben (erneut) durch den Schlamm kriechen, ein Biwak errichten und mit 20 Kilo Gepäck einen Gewaltmarsch durch die Lüneburger Heide schaffen. Aber für ein Jahr ihre Lebenserfahrung, Sozialkompetenz und Mühe in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, wird man ihnen wohl zumuten dürfen. 

Ob im Kindergarten, in sozialen Projekten oder bei leichteren Pflegeaufgaben – möglicherweise ist ein solcher Dienst für viele sogar erfüllend, nachdem ihr Berufsleben von heute auf morgen endet. Schon heute engagieren sich Hunderttausende im Ehrenamt, um auch in der Rente am sozialen Leben teilzunehmen. Einen so großen Unterschied gäbe es zu einem sozialen Pflichtjahr vielleicht gar nicht. 

Niemandem würde die Einführung eines solchen Dienstes leicht fallen. Und doch ist er nötig. Auch, um der jungen Generation bei all den Krisen ihrer Zeit zumindest ein bisschen Luft zum Atmen zu geben.

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