
Mal klicken die Handschellen bei der Einreise am Flughafen, mal bei einer zufälligen Verkehrskontrolle. Gegen viele Menschen liegen offene Haftbefehle vor. Über Zahlen, Taten und Ablaufzeiten.
Mit internationalem Haftbefehl ist der Tatverdächtige im Fall eines mutmaßlich missbrauchten Mädchens aus dem Erlebnisbad Rulantica gesucht worden. So konnten Einsatzkräfte den 31-jährigen Rumänen sogar in einem Dorf im Nordwesten des Landes dingfest machen.
Die Fahndung war aufgrund des großen Interesses an dem Fall öffentlich bekannt. Meist geschieht das aber eher hinter den Kulissen. Wie viele Fälle es gibt, zeigt ein Blick ins polizeiliche Informationssystem.
Wie viele offene Haftbefehle gibt es in Baden-Württemberg?
24.640 Haftbefehle waren dort laut dem Landeskriminalamt (LKA) am Stichtag 1. Juli ausgeschrieben. Beim deutlich kleineren Teil (3.000) ging es demnach um die Festnahme von Tatverdächtigen, in den anderen 21.640 Fällen um Strafvollstreckung. Dabei soll eine Strafe durchgesetzt werden, wenn ein Urteil gegen einen Straftäter oder eine Straftäterin rechtskräftig wird.
Welche Gründe gibt es dafür?
Solche Haftbefehle werden zum Beispiel erlassen, wenn ein Täter oder eine Täterin eine Gefängnisstrafe nicht antritt oder eine Geldstrafe nicht rechtzeitig bezahlt. Ein anderer Anlass kann sein, wenn die Bewährung widerrufen wird – etwa weil nach einem Urteil gegen Auflagen verstoßen wurde.
Wie haben sich die Zahlen entwickelt?
Verglichen mit dem Vorjahreswert ist die Gesamtzahl offener Haftbefehle im Südwesten gesunken. Zum 1. Juli 2024 listete die Statistik rund 25.390 auf. Bis dahin war die Zahl seit 2021 gestiegen, als nur gut 13.540 offene Haftbefehle vorlagen. Allerdings waren es ein Jahr davor mit 16.771 wieder mehr.
Doch die Aussagekraft solcher Zahlen zu einem bestimmten Stichtag ist laut einer LKA-Sprecherin begrenzt. „Haftbefehle werden täglich vollstreckt, die Fahndungsnotierung nach der Person wird dann umgehend gelöscht. Gleichzeitig werden auch neue Haftbefehle erlassen und Personen zur Fahndung ausgeschrieben“, erklärte sie. „Bei Stichtagserhebungen handelt es sich demzufolge immer nur um eine Momentaufnahme.“
Welche Haftbefehle werden erfasst?
In der Regel schreibt die Polizei den Angaben zufolge Haftbefehle dann im polizeilichen Informationssystem aus, wenn das zugrundeliegende Delikt in Baden-Württemberg bearbeitet wird. Die Haftbefehle betreffen also nicht zwingend nur Menschen, die im Südwesten wohnen oder sich hier aufhalten. Auch kann es mehrere Haftbefehle zu einer Person geben.
Um welche Taten geht es?
Bei den Haftbefehlen zur Strafvollstreckung geht es laut dem LKA vor allem und in absteigender Reihenfolge um Diebstahlsdelikte, Straßenverkehrsdelikte, Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz und Betrugsdelikte.
Wo werden Haftbefehle vollstreckt?
Im Grunde sind Täterinnen und Täter nirgends sicher. Die Polizei kann zu Hause vorbeikommen. Oder Betroffene geraten in eine Kontrolle – etwa am Flughafen oder rein zufällig. So ging beispielsweise vergangene Woche der mutmaßliche Mörder einer 84-Jährigen aus Kehl (Ortenaukreis) den Beamten ins Netz.
Ferner hat die Bundespolizei im Zusammenhang mit den vorübergehend wiedereingeführten Grenzkontrollen an den Grenzen zu Frankreich und der Schweiz vom 16. September 2024 und 31. Juli dieses Jahres 1.251 sogenannte strafprozessuale Festnahmen vollzogen. In den allermeisten Fällen lägen hier Haftbefehle zugrunde, sagte ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart.
Wie schnell werden Haftbefehle vollstreckt?
Statistische Daten dazu gibt es nicht. Aber als Verbrecherin oder Verbrecher sollte man sich im Zweifel auch nach Jahrzehnten noch nicht in Sicherheit wähnen. Die älteste Ausschreibung im Informationssystem von der Polizei Baden-Württemberg aufgrund eines Haftbefehls stammt aus dem Jahr 1992.
Gibt es eine Ablaufzeit?
Das Strafrecht regelt je nach Delikt-Art, wann Verfolgung und Vollstreckung verjähren. Zum Beispiel gilt dabei die alte Redewendung „Mord verjährt nie“. Ansonsten richtet sich etwa die Verfolgungsverjährung nach der Höchststrafe, die das Gesetz für eine Tat vorsieht. Droht – außer bei Mord – eine lebenslange Freiheitsstrafe, endet die Verjährungsfrist nach 30 Jahren. Bei niedrigeren Höchstmaßen sinkt sie gestaffelt auf 20, 10 und 5 Jahre – und beträgt für leichtere Kriminalität wie Fahren ohne Fahrerlaubnis und Beleidigung drei Jahre.
Wer entscheidet, ob ein Haftbefehl erlassen wird?
Verantwortlich für den Erlass von Haftbefehlen sind Gerichte. In der Regel beantragen Staatsanwaltschaften sie. Dafür gibt es verschiedene rechtliche Grundlagen – je nach Delikt, um das es geht. Auch die Ausschreibung zur Fahndung ist Sache der Justiz.
Erfährt die Öffentlichkeit, nach wem gefahndet wird?
In der Regel gibt es dazu nur selten Angaben – und dann meist nur mit den allernötigsten Informationen, wie im Fall des Kindes aus dem Schwimmbad. Hintergrund ist, dass die Gesuchten nicht an den Pranger gestellt werden sollen. Häufig besteht in dem Moment erstmal nur ein Verdacht, der sich während der Ermittlungen oder vor Gericht auch als falsch erweisen kann.
Selten fahndet die Polizei öffentlichkeitswirksam. Auf der Internetseite fahndung.polizei-bw.de sucht zum Beispiel die Kriminalpolizei in Schwäbisch Hall mit einem Phantombild einen Mann, der im Juli in einem Waldstück eine 26-Jährige sexuell angegangen haben soll. Mehrere Monate nach einem schweren Raub in einem Mehrparteienhaus in Sindelfingen (Landkreis Böblingen) veröffentlichte die Polizei vor kurzem Aufnahmen einer Überwachungskamera, die zwei Tatverdächtige zeigen. Auf dem Portal geht es auch um die Suche nach Vermissten oder Hinweise, die beim Identifizieren von Toten helfen sollen.