
stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz ordnet jeden Mittwoch in seinem Briefing ein, worüber Deutschland spricht – und empfiehlt Ihnen die wichtigsten Inhalte aus der Redaktion.
Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche will der GPS-Newsletter mit Ihnen ergründen, wie es ausschaut, wenn eine Gruppe sehr mächtiger Menschen beinahe machtlos wirkt, weil es ihnen nur darum geht, auf die Gefühle eines potenziellen Geiselnehmers im Raum zu achten. Wir gehen der Frage nach, ob Julia Klöckner eine glückliche Frisch-Liierte, zugleich aber eine sehr unglücklich agierende Bundestagspräsidentin sein kann – und warum man in Ibiza bis zum Zusammenbruch feiern kann, erörtern wir ebenfalls gemeinsam. Legen wir los.
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Themen der Woche
Die „New York Times“ schrieb gerade über die Prozession westlicher Regierungschefs gen Washington, zum Treffen mit US-Präsident Donald Trump: „Während der vergangenen sieben Monate haben die Anführer der westlichen Welt einen Intensivkurs belegt, in „Trumpology“. Eine/r nach dem anderen, sind Präsidenten und Premierminister der europäischen Nationen nach Washington gereist und haben gelernt, wie der komplizierte Typ zu „handeln“ ist, der hinter dem großen Schreibtisch in dem goldgeschmückten Raum sitzt, der wie ein Oval geformt ist. Am Montag kam gleich die ganze Klasse zusammen ins Weiße Haus. Es war an der Zeit, zu zeigen, was sie gelernt hatten.“
Einmal ganz abgesehen davon, woran wir uns alles schon gewöhnt haben, ist der Umstand, dass eine ganze Phalanx europäischer Top-Politiker eine Versuchsanordnung wählt, in der sie abwechselnd schmeicheln, mit angehaltenem Atem zaghaft etwas zu erbitten wagen oder einfach gezielt schweigen, um dem großen Herrscher ehrerbietig zuzuhören, einfach: bemerkenswert. Es war ein Treffen, dessen Verlauf jedes Hollywood-Studio noch vor wenigen Jahren als zu unrealistisches Drehbuch abgelehnt hätte, das nun aber offenbar die neue Normalität darstellt. Ob es dennoch zur Annäherung an einen Friedensschluss beitragen kann? Der Ausgang ungewiss, aber ein Funken Hoffnung ist erlaubt, immerhin.
Große Gesten: Donald Trump mit seinen hochkarätigen Besuchern am Montag in Washington
© Pool/Imago
Apropos Gefühle: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will nichts mehr fühlen, wenn ich Donald Trump sehe. Ich habe so viel gefühlt in all den Jahren, in denen er wie kein Politiker vor ihm (und hoffentlich keiner nach ihm) in unser Bewusstsein getrampelt, ja sich dort festgesetzt hat, fast immer waren es starke Gefühle, immer negative: Wut, Zorn, Empörung, Trauer, Ohnmacht. Und doch, sosehr ich mich abzustumpfen versuchte, es hat sich ein neues Gefühl eingestellt, als ich Trump am Freitag in Alaska sah, auf diesem albernen roten Teppich, den er für Wladimir Putin ausgerollt hatte, einen per internationalem Haftbefehl gesuchten Kriegsverbrecher, als ich sah, wie er ihm entgegenfieberte, ihn anbiedernd „Wladimir“ nannte und dessen Land (eigentlich längst ein in der wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit versunkener Mafia-Staat, nur leider mit Nuklearwaffen) zur globalen Nummer zwei erhob. Der US-Präsident heischte so nach Anerkennung durch den russischen Herrscher, dass ein neues Gefühl auftauchte, es hieß: Mitleid. Ja, Donald Trump tat mir leid.
Wir könnten nun lange analysieren, ob Trump und Putin einen geheimen Plan ausgeheckt haben, ob der Amerikaner das Problem Ukraine einfach loswerden mag. Aber darum ging es mir bei diesem Anblick erst mal nicht. Zu sehen war ein Mann, der alles bekommen hat, wovon vielleicht nicht einmal er selbst geträumt hat: mächtigster Mensch der Welt zu sein, der in einem Auto namens „Beast“ fahren, in einem Flugzeug namens „Air Force One“ fliegen darf. Und doch wartete auf diesem roten Teppich eigentlich immer noch der peinlich-windige Immobilienmakler aus Queens, der es erst in Manhattan schaffen wollte, dann in Washington, und dann?
Was Trump noch will? Klar, den Friedensnobelpreis, der ihm aus seiner Sicht zusteht, schon weil ihn Barack Obama einst bekommen hat. Vor allem aber will er offenbar akzeptiert werden von jenem Mann, der noch skrupelloser sein darf als er, ein echter Diktator eben, während Trump bislang nur davon fabulierte, er könne auf der Fifth Avenue einen Menschen erschießen, und es sei egal. Vielleicht schwante ihm auf dem Teppich schon, dass er weder den Preis noch die Anerkennung durch Putin bekommen wird, weil er schlicht keine Trumpfkarten hat, wie Anne Applebaum, die wohl klügste Chronistin der USA-Russland-Beziehung, im „Atlantic“ schrieb: „Trump sagt, dass er den Krieg in der Ukraine beenden will, und manchmal auch, dass er wütend sei, dass Putin dies nicht tue. Aber wenn die USA nicht bereit sind, irgendwelche wirtschaftlichen, militärischen oder politischen Werkzeuge bereitzustellen, um der Ukraine zu helfen, wenn Trump keinen diplomatischen Druck auf Putin ausüben oder neue Sanktionen verhängen wird, dann kann der fromme Wunsch des Präsidenten, als Friedensstifter gesehen zu werden, einfach ignoriert werden.“
Trump ist ein Tyrann, das wissen wir. Außer wenn er einen echten Tyrannen trifft, dann ist er unterwürfig. Ist es ungehörig, Mitleid zu haben mit so einem Menschen? Vermutlich. Aber vielleicht erklärt diese gefühlige Deutung das Phänomen Trump besser als jede noch so nüchterne Analyse.
Da wir schon beim Mitfühlen sind: Auch Friedrich Merz ist kein Mann, der zum Mitleid einlädt. Ich empfinde es trotzdem für ihn. Er ist bislang ein guter Außenpolitiker, auch weil er in symbolischen Bildern denkt, was etwa Olaf Scholz niemals verstanden hat. Wird ihm dies helfen, ein beliebter Kanzler zu werden? Eher im Gegenteil, auch weil viele daheim nur darauf lauern, seine Zeit im Ausland zu bekritteln, in einer Weise, die an Trumps Amerika erinnert. Was macht der so viel im Ausland? Warum ist der nicht in Deutschland, also an der Heimatfront? So etwa ist es vor allem in AfD-nahen Portalen zu lesen. Dabei könnte Merz die echte Zeitenwende mit einläuten, diesmal für Europa. Wie er das schaffen könnte, lesen Sie hier.
Dem Kanzler dafür Raum zu geben, ohne ihm gleich Landesverrat vorzuwerfen, wäre ein Anfang. Herfried Münkler, Autor zahlreicher Bücher zum geostrategischen Wandel („Macht im Umbruch“ etwa), sieht den Ukrainekrieg für Merz zu einer Art „Kohl-Moment“ werden, also einem Moment historischer Größe. Was er damit meint? Einfach hier entlang: Lesen Sie es hier nach.
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Julia Klöckner war in ihrem früheren Leben Weinkönigin. Daran ist nichts Unschickliches, ganz im Gegenteil: Eine gute Weinkönigin muss ausgleichen und repräsentieren können, sie muss zum Trinken einladen und doch vom Exzess ausladen. Man tritt ihr nicht zu nahe, wenn man sagt, dass Klöckner – mittlerweile als Bundestagspräsidentin protokollarisch die Nummer zwei der deutschen Politik – die richtige Mischung in ihrem neuen Amt noch nicht gefunden hat. Das hat nichts mit dem Umstand zu tun, dass sie und der TV-Moderator Jörg Pilawa seit Kurzem ein Paar sind. Klöckner machte vielmehr eine eher unglückliche Figur im Management der missglückten Kanzlerwahl im ersten Durchgang und mit ihrer Kritik an einem angeblich übertriebenen politischen Engagement der Kirchen. Die Grünen warfen ihr außerdem vor, in der Maskenaffäre parteiisch zu agieren.
Manche sahen sie auch als Kulturkämpferin mit rechtem Einschlag, etwa weil sie zum Christopher Street Day nicht mehr die Regenbogenflagge auf dem Parlament hissen mag. Ob das gleich ein Skandal ist, sei dahingestellt. „Nun allerdings hat sich Klöckner tatsächlich einen schweren Fehler geleistet“, schreibt meine Kollegin Lisa Becke, „von dem man nur hoffen kann, dass er aus Unkenntnis und nicht aus Überzeugung geschehen ist. Ihr Auftritt bei einem CDU-Sommerfest in Koblenz sorgte ohnehin schon für Kritik, da es auf dem Firmengelände des Unternehmers Frank Gotthardt stattfand, eines großen Geldgebers des rechtspopulistischen Onlineportals ,Nius‘. In ihrer Rede dann setzte sie Berichten zweier Journalisten zufolge die ,taz‘ und ,Nius‘ gleich, diese seien sich in den Methoden ,nicht unähnlich‘.“
Julia Klöckner bringt aktuell viele Leute gegen sich auf
© Kay Nietfeld/dpa
Becke schreibt weiter: „Das ist offensichtlicher Unsinn. Während die links zu verortende ,taz‘ den Anspruch verfolgt, journalistische Ansprüche hochzuhalten, macht das Portal des früheren ,Bild‘-Chefredakteurs Julian Reichelt immer wieder mit Kampagnen und verzerrenden Darstellungen auf sich aufmerksam. Das Portal überschreite bewusst Grenzen und nutze Methoden der Desinformation, sagte der Politikwissenschaftler Markus Linden bereits im vergangenen Jahr. Qua Funktion wäre es Klöckners Aufgabe, ein solches Rechtsaußenmedium nicht auch noch aufzuwerten – sondern zu verstehen, welch schädigende Rolle es für die Demokratie einnimmt. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, wie wirkmächtig solche Portale darin sein können, sinnvolle Debatten zu verunmöglichen, und auch, wie Parteien am extremen rechten Rand davon profitieren können. Von einer Bundestagspräsidentin muss man erwarten können, dass sie das erkennt.“ Den ganzen Artikel können Sie hier lesen.
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Ich war erst einmal in meinem Leben auf Ibiza. Getanzt habe ich damals nicht. Macht mich das zu einem Freak? Hoffentlich nicht. Zu einer ungewöhnlichen Art von Ibiza-Besucher macht es mich hingegen schon. Denn dort wird getanzt bis zum Kollaps. Lesen Sie hier unsere Titelgeschichte über das knallharte Party-Geschäft auf der größten Party-Insel der Welt – und falls Sie doch noch auf ein paar ruhige Fleckchen fernab vom DJ-Pult hoffen sollten, ist Gunnar Herbst Ihr Zeremonienmeister. Die Reportage können Sie hier nachlesen.
Video der Woche
Roswitha Hellmuth-Gamberger kämpfte anfangs um Anerkennung. Heute, nach 45 Jahren und Millionen Kilometern, ist sie eine Lkw-Legende. Doch ans Aufhören denkt sie noch lange nicht. Zu dem Video geht es hier lang.
Moment der Woche
Löschkommando
Angesichts des dichten Rauchs und des sich rasch nähernden Feuers nehmen die Bewohner von Larouco im Nordwesten Spaniens die Sache oder genauer die Schläuche selbst in die Hand. Die Feuerwehr ist in den Waldbrandgebieten heillos überfordert. Während Teile Spaniens unter einer der längsten Hitzewellen seit Jahrzehnten leiden, wird die Kritik an der Regierung lauter. In den vergangenen Jahren wurden Gelder für die Feuerwehren wie auch für die Brandprävention stark gekürzt. Feuerwehrleute klagen über prekäre Arbeitsverhältnisse mit Gehältern von nur etwa tausend Euro und eine mangelhafte Ausbildung.
© Lalo R. Villar
Kurz und knapp
„Mit Bescheidenheit kommt man nicht weit“. Deutschlands bester Basketballer Dennis Schröder über goldene Autos und seine Heimatliebe.Wenn ein Mann weiß, wie man mit den USA verhandeln und Konflikte entschärfen kann, ist es Wolfgang Ischinger, langjähriger deutscher Botschafter in den USA (unter anderem in den Tagen des 11. September), danach Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Wie geht also Frieden, Herr Ischinger? Das hat ihn mein Kollege Moritz Gathmann gefragt.Entsteht gerade eine „neue Mauer“ im Osten Deutschlands? Bodo Ramelow, bis vor Kurzem Ministerpräsident von Thüringen, und der Intellektuelle Ilko-Sascha Kowalczuk haben ihre jeweils ganz eigene Blickweise auf diese Frage.Sie dachten, ein Mensch allein sei dazu nicht fähig. Sie irrten sich. Die Geschichte des Serienmörders Luis Garavito, dessen Treiben jede Vorstellung sprengt. Lesen Sie die ganze Geschichte hier.Messie sein, das kann man auch, wenn man eigentlich mitten im Leben steht. Wenn die Welt der Dinge überhandnimmt, tritt alles andere dahinter zurück. So wie bei Doreen Steinitz.
Til Mette
Frage der Woche
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist dafür, Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Medien wie Tiktok oder Instagram zu verbieten. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern. Danach sind 54 Prozent für ein Social-Media-Verbot. 41 Prozent sind gegen Einschränkungen. Zuletzt hatten sich Stimmen aus der Politik gemehrt, nach australischem Vorbild auch hierzulande eine Altersgrenze für die Nutzung sozialer Medien einzuführen. Besonders hoch ist der Anteil der Verbots-Befürworter unter Eltern und Älteren. Von den Personen, in deren Haushalt Kinder leben, sowie den ab 60-Jährigen sprechen sich jeweils 60 Prozent dafür aus. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es deutlich weniger, aber auch noch die Mehrheit (51 Prozent). Mich interessiert aber vor allem, was Sie denken. Sollten Kinder und Jugendliche unter 16 auf soziale Medien verzichten? Schreiben Sie mir gern, was Sie denken, an [email protected]
Gefühlslage
Neulich bin ich im Frankreich-Urlaub über einen schönen Satz gestolpert. Er lautete sinngemäß: Sollte man jemals an der Existenz von Gott zweifeln, müsse man sich bloß kurz daran erinnern, dass er (oder sie) die Provence erschaffen hat. Ähnliches lässt sich über Italien sagen, gerade über dessen Strände. Sieben Tipps unserer Italien-Korrespondentin für unvergessliche Sommermomente.
Ich wünsche Ihnen eine starke Woche. Hat Ihnen dieses Mailing gefallen? Dann empfehlen Sie es gern weiter.
Herzlichst grüßt
Ihr GPS