Im Alter von 100 Jahren: Gründer der konkreten Poesie – Eugen Gomringer ist tot

  • August 22, 2025

Text als Bild, Bild als Text: Eugen Gomringer verwandelte Wörter in Kunstwerke. Als Gründer der konkreten Poesie zählte er zu den wichtigsten Lyrikern unserer Zeit.

„Schweigen“. Vierzehnmal ordnete Eugen Gomringer das Wort an, in drei Spalten und fünf Zeilen. Nur in der Mitte des Gedichts blieb eine sprachliche Lücke. Sie zeigt das Schweigen, auch wenn das Wort selbst fehlt. Eugen Gomringers „Schweigen“ erschien 1960 in der Gedichtsammlung „33 konstellationen“. Nun ist der Lyriker selbst für immer verstummt und wird eine Lücke hinterlassen. Am Donnerstag ist Gomringer im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Bamberg gestorben, wie sein Sohn Stefan Gomringer am Freitag mitteilte.

Gomringer zählte zu den bedeutendsten zeitgenössischen Lyrikern. Als „Spracharbeiter“ bezeichnete ihn der Schriftsteller Max Frisch einst. Er stehe wie nur wenige für das Sprachexperiment, schrieb seine Tochter Nora-Eugenie Gomringer, selbst Lyrikerin. Die „Nutzung der Sprache als unprätentiöses, klares Kommunikationsmittel, der Werbesprache nah, doch der Vision dichterischen Weltverständnisses noch näher“.

Zu seiner konkreten Poesie inspirierte ihn die Kunst der Zürcher Schule der Konkreten. „Ich habe mir gedacht: Man müsste doch auch mit Worten so einfache Werke schaffen können“, erzählte Gomringer bei einem Besuch zum 95. Geburtstag. Konkrete Poesie sei für ihn damals das ästhetische Kapitel einer neuen literarischen Weltbewegung gewesen.

Gomringers bekanntestes Gedicht löste Sexismus-Debatte aus

Der erste Gedichtband „konstellationen constellations constelaciones“ erschien 1953. Gleich auf der ersten Seite sein bekanntestes Gedicht: „avenidas“. Gromingers Hommage an Alleen, Blumen und Frauen prangte jahrelang an der Südfassade einer Berliner Hochschule, bis Studentinnen die Zeilen als diskriminierend auffassten. Das Gedicht wurde übermalt, aus Protest wurde es daraufhin an Wänden in Berlin und im oberfränkischen Rehau angebracht.

Gomringer war Sohn eines Schweizers und einer Bolivianerin, geboren an einem Nebenarm des Amazonas. Schüler in Zürich, Student in Bern und Rom. Als Sekretär von Max Bill ging er an die Hochschule für Gestaltung nach Ulm, als Propagandachef arbeitete er für die Schweizer Schmirgel- und Schleifindustrie und übernahm die Geschäftsführung des Schweizer Werkbundes. Er war Kulturbeauftragter des Porzellan-Herstellers Rosenthal, Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.

Ausstellungen bis zuletzt

Gomringer liebte Schokolade, französische Literatur und konstruktive Kunst. Seine Sammlungen lassen sich im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt und im Kunsthaus der Kleinstadt Rehau, seiner Wahlheimat, bestaunen. Lange organisierte er mit seiner Frau und einem seiner Söhne sechs Ausstellungen jährlich, unternahm Flusskreuzfahrten und veröffentlichte Gedichtbände. 

Zu seinem 100. Geburtstag nahm er an einer Vernissage zu ihm gewidmeten Ausstellung mit seinen Gedichten im oberfränkischen Rehau teil, seinem langjährigen Schaffensort.

„welt im sonett“ hieß seine 2020 erschienene Autobiografie in metrischer Versform. Er könne sich nicht vorstellen, mit dem Schreiben aufzuhören, sagte der Lyriker damals. Doch aus seinem Büro wird nun nie wieder die Schreibmaschine ratschen, klicken und hämmern. Schweigen.

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